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21. August 2000

Der Ökumenische Rat der Kirchen lernt tanzen
Interview mit Lusmarina Campos Garcia
Produzentin des Tanztheaters "Friede für die Stadt"


vgl. ÖRK-Pressemitteilung, PR-00-21, 21. Juli 2000

Am Samstag, 2. September, wird zum ersten Mal ein vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Auftrag gegebenes Tanztheater über Initiativen zur Überwindung von Gewalt aufgeführt werden. Die Welturaufführung wird auf der Expo 2000 in Hannover stattfinden und erzählt die Geschichte einer Kampagne, die 1997 ihren Ausgang nahm. Damals schlossen sich Friedensinitiativen in sieben Städten -- Rio de Janeiro, Brasilien; Belfast, Nordirland; Boston, USA; Colombo, Sri Lanka; Durban, Südafrika; Kingston, Jamaika und Suva, Fidschi, zur Kampagne "Friede für die Stadt" zusammen.

Lusmarina Campos Garcia hat in Zusammenarbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern der Marzia Milhazes Dança Contemporănea und dem Trio Aquarius dieses dynamische, 40-minütige getanzte Drama geschaffen, das die Kirchen und die Zivilgesellschaft in aller Welt auffordern will, sich in ihrem jeweiligen Kontext mit den Äusserungen von Gewalt auseinanderzusetzen.

Karin Achtelstetter hat mit der brasilianischen Theologin und Künstlerin Lusmarina Campos Garcia über das Stück gesprochen.

KA: "Friede für die Stadt" als Musical! War es schwer, ein Tanzdrama über die Kampagne zu schaffen?
LGC
: Man muss die Kampagne verstehen und sich dafür passionieren. Man muss wissen, wann sie entstanden ist und warum sie weitergeht. Man muss die Gesichter und Körper derer vor sich sehen, die die Kampagne ins Leben gerufen haben. Man muss ihre Geschichten hören und ihren Rhythmus in sich aufnehmen. Man muss sich in die Hoffnungen und die konkreten Anstrengungen einklinken, mit denen die Ziele der Kampagne erreicht werden können. Man muss in den "Geist" der Kampagne eintauchen und eine Sprache finden, die das alles ausdrückt und offenbart.

Was war dabei die grösste Herausforderung?
Die Sprache. Eine Sprache zu finden, die das zentrale Thema der Kampagne herausbringt, war eine grosse Herausforderung, denn man muss sich ja zwischen verschiedenen Kulturen, Sprachen und kosmischen Perspektiven bewegen, lokal und universal zugleich sein... Wie findet man eine Sprache, die Menschen - und Völker -- erreicht, die mit der Kirche verbunden sind, aber nicht nur sie? Wie findet man eine Sprache, die nicht vom gesprochenen Wort, von Traditionen oder engen ästhetischen Vorstellungen blockiert wird und die die Menschen tief in ihrem Innern anspricht? Die Kunst bietet diese Möglichkeit. Aber welche Art von Kunst? Als wir anfingen, über diese Projekt nachzudenken, haben wir zunächst an Theater gedacht. Aber Theater bedeutet gesprochene Sprache. Und wir wollen doch um die Welt reisen! Übersetzen funktioniert da nicht. So haben wir uns für eine Kunstrichtung entschieden, die im Prinzip keine Übersetzung braucht: Musik und Tanz.

Die zweite Herausforderung bestand darin, eine Sprache zu finden, die als Bestandteil der Kampagne identifiziert werden kann, die gleichzeitig aber auch neue Elemente einbringt. Was ich hiermit meine ist Objektivität und Subjektivität, Wörtlichkeit und Nicht-Wörtlichkeit. Wie kann man sichergehen, dass die Erfahrung der Partnerstädte greifbar wird und als solche sichtbar, dass aber zugleich erkannt wird, dass dieses Drama mehr ist als nur eine wörtliche Wiedergabe dieser Erfahrung.

Ich glaube, wir haben da ein gutes Gleichgewicht hergestellt. Die Musik, die manchmal leicht und heiter ist, verkörpert die eher wörtliche und objektive Seite, insofern sie den Rhythmus der sieben Partnerstädte in Form einer Suite darstellt. Die Choreografie ist dagegen subjektiver und weit weniger wörtlich. Sie zeigt Bewegungen und Bilder, die die Spannung herausbringen, die Friedensprozessen innewohnt, wie auch die immer wieder möglichen Auferstehungen inmitten der Gewalt.

Wen wollen Sie ansprechen?
Ich möchte Menschen ansprechen, die aufgeschlossen sind für Frieden und für Kunst, Menschen innerhalb und ausserhalb der Kirche, die glauben, dass es möglich ist, zerbrochene Beziehungen und fragmentierte Wirklichkeiten wieder aufzubauen. Junge Leute, Erwachsene, alte Menschen, Jugendliche, Kinder, Männer, Frauen -- Menschen, die sich vielleicht durch Bücher, Konferenzen oder Vorträge nicht ansprechen lassen... Ich möchte der Kirche die Möglichkeit zurückgeben, durch die Kunst mit der Gemeinschaft am Ort zu kommunizieren und ihr dadurch zu helfen, ihrer eigenen Kultur näher zu kommen. Ich möchte dazu beitragen, dass Leute, die die Äusserungen der Kirche für unzulänglich, wirklichkeitsfern oder wenig atraktiv halten, ihre Meinung ändern! Ich möchte Leute, die andernfalls wohl kaum zusammenfinden würden, in einem Raum, einem Gotteshaus oder einem Theater versammeln.

Welche Botschaft enthält das Tanzdrama "Friede für die Stadt"?
Die Botschaft, dass es alternative Möglichkeiten gibt, die zerbrochenen Beziehungen und Lebensumstände von Menschen wieder aufzubauen. Dass die Menschen auf allen Seiten des Konflikts Raum für die Kommunikation finden können. Dass wir solche Räume entdecken oder schaffen müssen, wo immer wir uns befinden. Kunst kann ein Weg sein, um Menschen miteinander zu verbinden. Sie gibt uns Kraft und befreit uns von den formellen Räumen, die häufig schwierige Verhandlungen erfordern. Frieden ist möglich, insofern wir zur Bewegung bereit sind. Frieden ist möglich, insofern wir kreativ sein können und alternative Wege wagen, um Frieden zu schliessen und zum Ausdruck zu bringen. Frieden ist erfahrbar... und unendlich schön.

Ist es etwas Besonderes, ein Musik- und Tanzstück für den Ökumenischen Rat der Kirchen zu schaffen?
Ja, unbedingt! Es ist ja das erste Mal, dass der Ökumenische Rat der Kirchen etwas Derartiges in Auftrag gibt. Alle, die daran beteiligt gewesen sind, haben erlebt, was die Verwirklichung einer professionellen künstlerischen Produktion bedeutet. Wir alle nehmen neue Wörter und Konzepte auf; zum Beispiel die Vorstellung, dass der Körper das Ausdrucksinstrument eines Tänzers oder einer Tänzerin ist. Wir müssen uns mit einem theologisch-religiösen Vokabular und mit Begriffen auseinandersetzen, die uns nicht vertraut sind. Für mich ist der Dialog zwischen theologisch-religiösen Begriffen und der Kunst eine neue Erfahrung; der Dialog zwischen einer Welt, in der das gesprochene Wort die wichtigste Ausdrucksform ist, und einer Welt, in der man auf das gesprochene Wort fast verzichten kann. Die Tatsache, dass wir ein Werk schaffen, das einer Welt entstammt, die den Körper zum Teil immer noch als Ort der Sünde ansieht, ist ebenfalls eine neue Erfahrung! Es ist eine Aufgabe, die Fingerspitzengefühl erfordert, die aber auch eine echte Herausforderung ist.

Abschliessend möchte ich sagen, dass es etwas ganz Besonderes für eine Brasilianerin wie mich ist, zu sehen, wie der Ökumenische Rat der Kirchen tanzen lernt! Ich sehe darin eine Art Erlösung meiner eigenen Kultur und anderer Kulturen -- Kulturen, die in der Geschichte nur teilweise (wenn überhaupt!) in die religiös-theologische Welt der christlichen Kirchen integriert worden sind.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Mitgliedskirchen des ÖRK auf der ganzen Welt hiermit eine Gelegenheit erhalten, mit einer neuen Form der Kommunikation Bevölkerungsteile anzusprechen, zu denen sie normalerweise keinen Zugang hätten. Und sie können sich eine neue Ausdrucksform zu eigen machen, durch die die Botschaft von Liebe und Frieden vermittelt und verstanden wird. Dazu beglückwünsche ich den Ökumenischen Rat der Kirchen!

Möchten Sie eine Aufführung von "Friede für die Stadt" in Ihrer Stadt oder Region planen? Bitte informieren Sie sich bei:
Sara Speicher
ÖRK-Team für Information und Öffentlichkeitsarbeit

Fotos sowie eine ausführliche Beschreibung der Produktion finden Sie auf der ÖRK-Webseite unter http://www.wcc-coe.org/wcc/dov/dance-g.html

Dem Netzwerk "Frieden für die Stadt" gehören mittlerweile zehn Städte an:

- Belfast (Nordirland)
- Bethlehem (Westjordanland)
- Boston (USA)
- Braunschweig (Deutschland)
- Colombo (Sri Lanka)
- Durban (Südafrika)
- Kingston (Jamaika)
- Rio de Janeiro (Brasilien)
- Suva (Fidschi)
- Tuzla (Bosnien)

Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001-2010)

Auf der Achten ÖRK-Vollversammlung in Harare, Simbabwe, riefen die Delegierten aus den mehr als 300 ÖRK-Mitgliedskirchen die Dekade zur Überwindung von Gewalt (DOV) ins Leben. Die Vollversammlung erklärte, der ÖRK solle in Fragen der Gewaltlosigkeit und Versöhnung "strategisch mit den Kirchen zusammenarbeiten, um eine Kultur der Gewaltlosigkeit zu schaffen". Die Dekade, die im Februar 2001 weltweit ausgerufen werden wird, wird auf den Initiativen aufbauen, die bereits weltweit existieren und ein Forum bieten, auf dem Erfahrungen ausgetauscht und Beziehungen hergestellt werden, um voneinander zu lernen.


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Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) ist eine Gemeinschaft von 337 Kirchen in über 100 Ländern auf allen Kontinenten und aus praktisch allen christlichen Traditionen. Die römisch-katholische Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ÖRK zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die ungefähr alle sieben Jahre zussammentritt. Der ÖRK wurde 1948 in Amsterdam (Niederlande) offiziell gegründet. An der Spitze der Mitarbeiterschaft steht Generalsekretär Konrad Raiser von der Evangelischen Kirche in Deutschland.