okumenischer Rat der Kirchen

Straffreiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung

Die seit dem Ende des Kalten Krieges zu beobachtende Verbreitung neuartiger und komplexer Konflikte stellt die Kirchen vor neue und dringende Herausforderungen. Diese Konflikte haben nicht nur eine bisher einmalig hohe Zahl von zivilen Todesopfern gefordert, bei vielen von ihnen ist auch der religiöse Faktor in den Mittelpunkt gerückt. Viele dieser Konflikte passen sich nicht in das traditionelle Modell der zwischenstaatlichen Kriege um Land oder Vorherrschaft ein, sondern sind eher innerstaatliche Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen ethnischen, nationalen und rassischen Gruppen. Daher haben sie die internationale Gemeinschaft unvorbereitet getroffen und traditionellen Lösungsmethoden widerstanden. Aus Untersuchungen von Konfliktlösungs-Spezialisten geht hervor, dass in vielen Fällen ungelöste historische Spannungen zugrunde liegen, die auf Verstöße der einen gegen die andere Seite zurückgehen.

Die Gewährung von Straffreiheit, de jure oder de facto, für Personen, die sich in der Vergangenheit schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben; das Versäumnis der Gesellschaft oder der internationalen Gemeinschaft, die Wahrheit über solche Verbrechen zu ermitteln und einzugestehen; und die schwelenden Ressentiments derer, die verletzt wurden - dies alles sind häufig Ursachen für das Ausbrechen von Konflikten. Kirchen auf der ganzen Welt erkennen zunehmend, dass sie diese Dynamik besser verstehen müssen, wenn sie wahre Wegbereiter der Versöhnung sein wollen. Der Ökumenische Rat der Kirchen verfolgt seit 1993 ein Programm über Straffreiheit, Wahrheit und Versöhnung, um diese Tendenzen näher zu untersuchen und den Kirchen zu helfen, darauf zu reagieren. Ziel ist, die Christen darauf vorzubereiten, erste Alarmzeichen für den Ausbruch eines Konflikts zu erkennen und darauf zu reagieren, bevor er in einen Krieg umschlägt, den Menschen in Zeiten bewaffneter Auseinandersetzung seelsorgerlich beizustehen und dafür zu sorgen, dass nach dem Konflikt ein tiefgreifender Prozess der Heilung und Versöhnung einsetzt.

Seit Anfang 2001 arbeitet das Programm über Straffreiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung eng mit dem Team für die Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt zusammen. Dies ist einer der Beiträge des ÖRK zu dieser Dekade.

wiedergutmachende Gerechtigkeit
  • Ethik und theologische Reflexion
  • Wahrheitskommissionen
  • Dekade zur Überwindung von Gewalt
  • der ÖRK und die Vereinten Nationen
  • 58. Tagung der UN-Menschenrechtskommission (März-April 2002)
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  • wichtige Dokumente

    Eine Legende... und etwas mehr

    Die Kirche Santa Maria in Cosmedin, Rom, ist berühmt für ihren Mund der Wahrheit, den "Bocca de la Veritá" - ein verwittertes steinernes Gesicht, das den alten Römern als Kanaldeckel diente. Die Legende besagt, dass der Mund zuschnappt, wenn jemand seine Hand in die Öffnung legt, der gelogen oder Ehebruch begangen hat.

    Dieses alte Steinbild erinnert uns daran, dass wir es bei der Wahrheit nicht mit einem neuen Problem zu tun haben. Und wie sehr die Leute auch zu mogeln versuchen, es ist immer noch als Mund der Wahrheit bekannt.

    Aus theologischer Sicht ist die Wahrheit das Kernstück der Botschaft Jesu und ist auch Jesus selbst: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben" (Joh 14, 6). Jesus verband die Wahrheit mit Freiheit: "... und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen" (Joh 8,32).

    Im Alten Testament ist Wahrheit unmittelbar mit Gerechtigkeit verbunden (Ps 85, 11-12): "... dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; dass Treue auf Erden wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue."

  • Aufgaben

  • die Reflexion über Straffreiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung aus einer theologischen und ethischen Perspektive fortsetzen;
  • die Analyse wiedergutmachender Gerechtigkeit vertiefen;
  • als ein Beitrag zur Ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt über Macht und Gerechtigkeit nachdenken;
  • Mitgliedskirchen, ökumenischen Organisationen und Christen bei der Überwindung von Straffreiheit, bei Wahrheitskommission und bei Versöhnungsprozessen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen; einschlägige Aktivitäten zu organisieren und zu unterstützen;
  • ein breites Netz von Rechtsexperten/innen, Soziologen/innen, Theologen/innen und Ethiker/innen knüpfen, die auf diesen Gebieten arbeiten;
  • die Verbindungen zu den Sektoren der internationalen Gemeinschaft verstärken, die mit diesen Problemen zu tun haben.

    Entstehungsgeschichte des Programms

    Anfang der 1970er Jahre richtete der Ökumenische Rat der Kirchen ein Büro für Menschenrechtsfragen in Lateinamerika (HRROLA) ein, um Kirchen und kirchliche Gruppen in Lateinamerika und der Karibik in ihrem Kampf um den Schutz der Menschenrechte in brutalen Militärdiktaturen zur Seite zu stehen. Das Büro unter der Leitung von Pfr. Charles Harper (mit finanzieller Unterstützung der Christlichen Kirche/Jünger Christi) förderte oder verstärkte die Einrichtung von Gruppen in ganz Süd- und Mittelamerika, die oft zur einzigen Anlaufstelle wurden, wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte und um Seelsorge für Menschen in großer Gefahr ging. Viele dieser Gruppen bildeten später das Rückgrat neuer, demokratischer Übergangsregierungen von der Militär- zur Zivilherrschaft.

    Während der Übergangszeit haben sich viele dieser Gruppen mit der Frage der Straffreiheit beschäftigt, als in einem Land nach dem anderen Verordnungen oder Gesetze erlassen wurden, die die für Massenverbrechen gegen die Bevölkerung Verantwortlichen vor Strafverfolgung schützten. Pfr. Harper bat Gruppen in sechs solchen Ländern, ihre Erfahrungen und ihre Analysen des Phänomens der Straffreiheit und deren tiefgreifende Auswirkungen auf Übergangsgesellschaften aufzuschreiben. Diese Niederschriften wurden 1996 vom ÖRK in einem Band mit dem Titel Impunity: An Ethical Perspective veröffentlicht. Das Buch hat weite Verbreitung in vielen Teilen der Welt gefunden.

    Upon Harper’s retirement, Ms Geneviève Jacques, Nach Harpers Pensionierung stellte der ÖRK Geneviève Jacques - frühere Generalsekretärin der CIMADE, dem ökumenischen Hilfswerk für Flüchtlinge, Migranten und Asylsuchende mit Sitz in Paris - als Beraterin ein, um dieses Programm weiterzuführen. Aufbauend auf den Erfahrungen während des Krieges in Bosnien-Herzegowina, des Genozids in Ruanda und mit der Arbeit der südafrikanischen Kommission für Wahrheit und Versöhnung baute Jacques die Perspektiven weiter aus. Es entstand ein neues Netzwerk aus Personen, die sich in Theorie und Praxis mit diesen Themen beschäftigen, und es wurden Schritte unternommen, um neue Initiativen in Afrika einzuleiten. Auf der Achten Vollversammlung des ÖRK in Harare wurde dem Thema Straffreiheit eine Sondersitzung im Rahmen der Padare-Veranstaltungen gewidmet, in der Personen von verschiedenen Kontinenten das Wort ergriffen. In Beyond Impunity. An ecumenical approach to truth, justice and reconciliation (Genf, ÖRK, 2000) hat G. Jacques diese Analyse der Probleme vertieft und Studienfragen für den Gebrauch in Kirchenräten und Gemeinden formuliert. 2001 erschien das Buch in spanischer und französischer Übersetzung.

    Wichtige Dokumente
    Beyond Impunity: An ecumenical approach to truth, justice and reconciliation (2000, WCC Publications) by Geneviève Jacques
    Impunity: An Ethical Perspective. Six case studies from Latin America (1996, WCC Publications) edited by Charles Harper
    Healing a Nations' Wounds: Reconciliation on the road to democracy (1997, Life & Peace Institute) by Walter Link
    Vergebung macht frei - Vorschläge für eine Theologie der Versöhnung (1996, Verlag Otto Lembeck) Geiko Müller-Fahrenholz
    The Reconciliation of Peoples: Challenge to the Churches (1997 WCC Publications/Orbis Books) edited by Gregory Baum & Harold Wells


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