MENSCHENRECHTSKOMMISSION DER VEREINTEN NATIONEN
58. TAGUNG - MÄRZ / APRIL 2002

Punkt 11 (a) der provisorischen Tagesordnung
Schriftliche Erklärung eingereicht von der
Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten
des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK)

DIE FRAGE DER BÜRGERLICHEN UND POLITISCHEN RECHTE UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG VON FOLTER UND HAFT

Information über die Arbeit des ÖRK am 57. Tagung des Menschenrechtskommission (März-April 2001)

Die Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) mit entwurzelten Menschen - sowohl auf dem Gebiet humanitärer Nothilfe - und Unterstützungsprojekte als auch mit seinem Eintreten für eine Änderung der Flüchtlingspolitik - hat eine lange Tradition.

Die 1995 vom Zentralausschuss verabschiedete Grundsatzerklärung des ÖRK zu entwurzelten Menschen hob das zunehmende Elend von Flüchtlingen und Migranten in einer Zeit weltweit eskalierender Konflikte hervor. Die Erklärung hielt unter anderem fest:
"Krieg, Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung aus politischen, religiösen, ethnischen oder gesellschaftlichen Gründen sind in allen Teilen der Welt zu beobachten und sind gegenwärtig die Hauptursachen für die Vertreibung von Menschen. Der weitgehende Zusammenbruch der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme, die den Menschen bisher das Überleben in ihren traditionellen Gemeinschaften und in ihren eigenen Ländern ermöglichten, beschleunigt die Wanderungsbewegungen."

Des Weiteren forderte die Erklärung die Mitgliedskirchen des ÖRK und kirchliche Organisationen auf, sich an Kampagnen zu beteiligen, deren Ziele die Erhaltung von Leben und Würde, die Förderung von Gerechtigkeit und Frieden in der Welt und die Begleitung entwurzelter Menschen sind.

In einer im Januar 2001 angenommenen Resolution erneuerte der Zentralausschuss des ÖRK seinen Aufruf "an die Kirchen in allen Teilen der Welt, den Menschen, die zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen worden sind, Unterstützung, Solidarität und Beistand zu gewähren und die kirchlichen und ökumenischen Dienste für Entwurzelte auszubauen."

Im Rahmen ihrer fortgesetzten Arbeit mit entwurzelten Menschen möchte die Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten des Ökumenischen Rates der Kirchen die Menschenrechtskommission auf den allgemein praktizierten Umgang mit Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sowie auf deren Lage aufmerksam machen. Zur Veranschaulichung möchten wir insbesondere auf die Situation der Binnenvertriebenen in Sri Lanka und der internierten Flüchtlinge in Australien eingehen. In beiden Fällen sehen sich Schutzsuchende Demütigungen und verschiedene Formen schwerer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Eine Politik der willkürlichen Internierung beschneidet ihr Grundrecht auf Freizügigkeit. Sie leiden unter großer wirtschaftlicher Not und emotionaler Entbehrung. Der Zugang zu angemessener Rechtshilfe und dem üblichen Rechtsweg bleibt ihnen verwehrt. Eine große Zahl derer, die gezwungen worden sind, ihre Heimatgemeinschaften in Sri Lanka zu verlassen oder in Australien Schutz zu suchen, haben bereits unter kriegerischen Handlungen und Menschenrechtsverletzungen gelitten und den Verlust von Familienangehörigen, Folter und Gefangenschaft erlebt. Sie werden von neuem zu Opfern, wenn sie dort, wo sie eigentlich Schutz suchen, erneut willkürlich interniert werden.

Oft ist es eine komplexe Mischung aus politischer Repression, bewaffneten Konflikten, ethnischen Spannungen und anderen Faktoren, welche schließlich zu Wanderungs- und Fluchtbewegungen führt. Es sind die Probleme aller Binnenflüchtlinge und Migranten; sie treffen nicht nur auf eine bestimmte Region zu. Sie sind weit verbreitet und im Zunehmen begriffen. In vielen Regionen ist die Anwesenheit entwurzelter Menschen sogar zu einem Dauerzustand geworden. Und dennoch wird - trotz der Aufrufe und unternommenen offiziellen Schritte von Kirchen auf der ganzen Welt - ihr Los, das durch eine restriktive staatliche Flüchtlingspolitik und diskriminierende Praktiken noch erschwert wird, nicht angemessen zur Kenntnis genommen. Unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit verzichten Staaten im Umgang mit Flüchtlingen und Binnenvertriebenen oft auf die Übernahme und Umsetzung international akzeptierter Normen und Menschenrechtsbestimmungen. Diese Praxis muss hinterfragt und verurteilt werden.

Sri Lanka

Bald zwei Jahrzehnte dauert der ethnische Konflikt in Sri Lanka nun schon an, der vielen Menschen auf beiden Seiten der ethnischen Grenze das Leben gekostet hat. Seit der Eskalation des Konflikts 1983 ist eine Welle von Gewalt, Hass und Zerstörung über die Gesellschaft Sri Lankas hereingebrochen. Eine Kultur der Straffreiheit und der Zerfall des Rechtsstaates haben zu einer alles durchdringenden Gewalt und zu systematischen Verstößen gegen fundamentale Rechte insbesondere der tamilischen Bevölkerung geführt. Der noch immer andauernde Konflikt hat wiederholt Tausende von Tamilen entwurzelt. Viele von ihnen leben unter entwürdigenden und unmenschlichen Bedingungen als Binnenvertriebene in verschiedenen Teilen des Landes; andere sind wiederholt von einer unwirtlichen Gegend in die andere vertrieben worden. Die Binnenvertriebenen aus den tamilischen Gemeinschaften im Norden und Osten des Landes leiden sehr unter der Behandlung durch die sri-lankische Polizei und Armee. Sie sind diskriminierenden Praktiken und Bestimmungen, Brutalitäten, Schikanen, Folter und unrechtmäßiger Inhaftierung ausgesetzt.

Aufgrund vorgeblicher nationaler Sicherheitserwägungen hält die Regierung Sri Lankas große Teile der tamilischen Bevölkerung als Binnenvertriebene im Distrikt Vavuniya und den angrenzenden Gebieten fest. Dort sind sie einer massiven Einschränkung ihrer Freizügigkeit unterworfen. Zu besonderer Besorgnis Anlass gibt das Elend der alten Leute, der Kranken und der Kinder. Die Lebensbedingungen sind miserabel. Unzureichende Unterkünfte, schlechte sanitäre Verhältnisse und der extrem begrenzte Zugang zu Schulbildung, medizinischer Versorgung und Transportmitteln belasten den Alltag dieser Menschen. Armee und Polizei sind mit ihren Kontrollposten allgegenwärtig; das ganze Gebiet befindet sich praktisch in einem Belagerungszustand.

Dazu die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: (Artikel 13) "Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen."
Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte hält fest: (Artikel 7) "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Insbesondere ..."
(Artikel 9) "Jeder hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person.
Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemand darf seine Freiheit entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung der im Gesetz vorgeschriebenen Verfahren."

Art. 14 (h) der Verfassung Sri Lankas garantiert: "Jeder Bürger und jede Bürgerin hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines/ihres Aufenthaltsortes."

Das Recht auf Freizügigkeit ist für die ungehinderte Entfaltung des Menschen unerlässlich. Die sri-lankische Regierung jedoch hat dieses Grundrecht jedes Einzelnen, sich im Lande frei zu bewegen, unter dem Vorwand eingeschränkt, dies sei im Interesse der nationalen Sicherheit, der Volkswirtschaft und der öffentlichen Ordnung. Sie betrachtet die Region um Vavuniya als Pufferzone zwischen den von den Regierungstruppen und den von den Rebellen kontrollierten Gebieten der Nordprovinz. Die Menschen, die dort lebten, wurden 1996-96 durch die Kämpfe zwischen der sri-lankischen Armee und den Befreiungstigern (Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE) vertrieben. Seither ist die Region um Vavuniya unter der Kontrolle der sri-lankischen Regierung. Diese hat die Freizügigkeit der Binnenvertriebenen durch die Einführung eines "Pass-Systems" massiv eingeschränkt hat.

Verschiedene Pass- Kategorien

Das in Vavuniya und Umgebung verbindliche Pass-System ist umfassend, außerordentlich kompliziert und mühsam. Es zählt 20 verschiedene Kategorien. Obwohl es rechtlich gesehen für alle gilt, wird es hauptsächlich gegenüber den Binnenvertriebenen tamilischer Herkunft angewandt. Mit der Einführung dieses Pass-Systems hat die Regierung die Freizügigkeit der tamilischen Minderheit massiv eingeschränkt, was ein klares Vergehen gegen die Verpflichtungen im Rahmen der Internationalen Menschenrechte darstellt.

Australien

Die australische Regierung Australiens wendet seit Oktober 1999 gegenüber Personen mit Flüchtlingsstatus eine diskriminierende Politik an. Seither müssen die in Australien eintreffenden Personen nach Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach australischem Recht ein temporäres Schutzvisum mit begrenzten Rechten beantragen. Solange ein solches Visum bzw. Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt ist, werden alle Asylbewerber zwangsinterniert.

Seit vor etwa 10 Jahren die Zwangsinternierung von Asylbewerbern eingeführt wurde, hat Australien diese Politik extensiv auf die Asylbewerber in den Internierungslagern für Einwanderer (IDC) angewandt. Diese Lager sind dem Ministerium für Einwanderung und multikulturelle Angelegenheiten unterstellt, werden aber von einem Privatunternehmen - der Australian Correctional Management Pty Limited, einer Tochtergesellschaft der Wackenhut Cooperation - verwaltet. Es handelt es sich um die folgenden Lager:

  • Villawood Immigration Detention Centre (IDC) in Sydney, errichtet 1976
  • Maribyrnong IDC Melbourne, errichtet 1966
  • Perth IDC, errichtet 1981
  • Immigraton Reception and Processing Centre (IRPC) in Port Hedland, West Australien (einer abgelegenen Provinzstadt in Nordwesten), errichtet 1991
  • Curtin IRPC in Derby, Westaustralien (40km nordwestlich von Derby, am Rande der Wüste), erneute Inbetriebnahme im September 1999.
  • Woomera IRPC in Woomera, Südaustralien (einem abgelegenen Gebiet rund 1500km von der nächsten Hauptstadt entfernt), Inbetriebnahme November 1999 und
  • ein neu zu errichtendes Zentrum auf der Weihnachtsinsel weit vor der Westküste Australiens, dessen Status noch geklärt werden muss.

    Diese Praxis der zeitlich unbegrenzten Zwangsinternierung aller auf australischem Territorium ankommenden Asylbewerber ist innerhalb der entwickelten Länder ziemlich einmalig. Personen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde und die nicht in ihr Ursprungsland zurückkehren können, müssen mit einer zeitlich unbegrenzten Internierung rechnen. Die Bedingungen, unter denen sie in diesen der Öffentlichkeit oder einer systematischen Überprüfung nicht zugänglichen Lagern leben müssen, geben Anlass zu Besorgnis. Dies kam in einer Reihe von Untersuchungen durch unabhängige Fachleute wie auch durch einen parlamentarischen Ausschuss zum Ausdruck. So hielt der Inspektor für Haftanstalten in Westaustralien kürzlich fest, dass das IRPC in Curtin weder nationalen noch internationalen Anforderungen genüge.

    Die größten Internierungslager Australiens befinden sich in entlegenen Gebieten weitab der Städte. Dies ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens: Die fehlende Sichtbarkeit (der IRPCs und ihrer Insassen) bedeutet für die Bevölkerung: "Aus den Augen, aus dem Sinn". Zweitens: Die Abgeschiedenheit der Internierungslager macht es für Kirchen oder Nichtregierungsorganisationen (NROs) außerordentlich schwierig, Unterstützung zu leisten. Drittens: Diese Unzugänglichkeit erschwert eine unabhängige Überprüfung der Praktiken innerhalb der Internierungslager durch Kirchen oder NROs.

    In den Internierungslagern ist es bereits zu Aufständen gekommen. Das sind klare Hinweise auf mangelnde Managementkompetenzen und zeige den Grad der Frustration und Verzweiflung der Internierten. Kinder und Familien sind die schutz- und wehrlosesten aller Internierten. Gegenwärtig zählt man 73 Minderjährige ohne Angehörige in Australiens offenen Internierungslagern. Für diese Kinder gibt es kaum offizielle Betreuungsmöglichkeiten; auf ihre Bedürfnisse wird nur "ad hoc" eingegangen, und auch das hängt oft vom guten Willen der Angestellten oder Mitgefangenen ab. Wie die übrigen Internierten, leiden auch Eltern in hohem Maße unter Depressionen und Angstzuständen. Ihre Kinder befinden sich dadurch in einer potentiell schutz- und hilflosen Lage. Während die Internierungslager von der Bundesregierung verwaltet werden, liegt die Verantwortung für Kinder- und Familiendienste bei den jeweiligen Bundesstaaten. Deren Fachwissen aber steht den Haftanstalten nicht ohne weiteres zur Verfügung, und entsprechende Angebote wurden in einigen Fällen übelgenommen. Die Bildungsmöglichkeiten in den Haftanstalten sind sehr begrenzt und weit unter dem Niveau, das australischen Kindern geboten wird. Es gibt Versuche, einzelne ausgewählte Kinder in öffentliche Schulen zu schicken. Das ist für die Kinder und die Schule eine gute Erfahrung, welche aber der begrenzten Mittel und Kapazitäten wegen nur einer kleinen Anzahl von Kindern zugute kommt. So können zum Beispiel Kinder, welche bereits über einige Englischkenntnisse verfügen, ohne größeren zusätzlichen finanziellen Aufwand in das öffentliche Schulsystem aufgenommen werden. Da den Eltern der Zugang zur Schule verwehrt bleibt, ist es jedoch schwierig, sie davon zu überzeugen, dass ihre Kinder dort angemessen betreut werden.

    Asylbewerber in australischen Internierungslager sind äußerst benachteiligt - am meisten aber quält sie die Tatsache ihrer Internierung, ihre Isolierung und die große Ungewissheit über ihre Zukunft.

    Die Kommission für internationale Angelegenheiten bittet die Menschenrechtskommission, die Regierungen von Sri Lanka und Australien aufzurufen,

  • ihre Politik der Internierung von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen zu überprüfen,
  • ihren Verpflichtungen im Rahmen der internationalen Menschenrechte nachzukommen,
  • NROs, Journalisten und anderen den Zugang zu den Haftanstalten zu ermöglichen,
  • im Falle Sri Lankas, den sri-lankischen Bürgern und Bürgerinnen die Ausübung ihres Grundrechtes auf Freizügigkeit innerhalb der Landesgrenzen zu gestatten und das diskriminierende Pass-System abzuschaffen,
  • im Falle Australiens, die Politik der Zwangsinternierung zu beenden.


    Information über die Arbeit des ÖRK am 57. Tagung des Menschenrechtskommission (März-April 2001)
    Internationale Beziehungen