|   FRIEDE 
        AUF ERDEN: 
        EINE NEUE VISION UND PRAXIS   
      ÖRK-Generalsekretär 
        Konrad Raiser 
        Ansprache auf der Konsultation über gewaltlose 
        Wege der Konfliktlösung, Corrymeela, 2. Juni 1994  
       Während wir hier in Corrymeela 
        zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch über gewaltlose Wege der Konfliktlösung 
        zusammenkommen und damit teilweise den Beschluss des ÖRK-Zentralausschusses 
        in Johannesburg einlösen, ein ökumenisches Programm zur Überwindung 
        von Gewalt einzuleiten, gehen in Angola, Bosnien und Ruanda drei der grauenvollsten 
        und gewalttätigsten Konflikte in dieser Generation weiter. Wir wissen, 
        wie dringend wir einer neuen Vision und Praxis bedürfen, um im Sinne 
        der biblischen Verheissung Frieden auf Erden zu verwirklichen; gleichzeitig 
        sind wir uns aber auch mehr denn je der Kultur der Gewalt bewusst, die 
        uns umgibt und gefangenhält, wie auch der Verzagtheit und Erfolglosigkeit 
        unserer Bemühungen, Friedensstifter zu sein. Unsere Reaktion auf 
        die unvorstellbaren menschlichen Leiden, die die anhaltenden Konflikte 
        verursachen, und auf die Notwendigkeit, den Opfern zu helfen, nimmt offenbar 
        alle unsere physischen und emotionalen Energien in Anspruch und lässt 
        nur wenig Raum für ein geduldiges Hinarbeiten auf eine grössere 
        Annahmebereitschaft für gewaltlose Methoden der Konfliktlösung. 
        Als der Generalsekretär der Vereinten Nationen seine "Agenda 
        für den Frieden" vorlegte, unterschied er zwischen Friedenssicherung, 
        Friedensschaffung und Friedenskonsolidierung. Die offenkundige Ohnmacht 
        und Schwäche der Vereinten Nationen als ein Instrument der Friedenssicherung 
        hat die klassische Methode der Friedensschaffung durch militärische 
        Intervention, angeblich zu humanitären Zwecken, wieder in den Vordergrund 
        treten lassen. Dabei wird der längerfristigen Aufgabe der Friedenskonsolidierung 
        und ihren spezifischen Erfordernissen wenig oder keine Beachtung geschenkt. 
       Wenn wir in diesen Tagen über 
        gewaltlose Wege der Konfliktlösung und Strategien zur Überwindung 
        von Gewalt diskutieren, dann müssen wir uns die Tatsache vor Augen 
        halten, dass wir uns einer Tagesordnung zuwenden, die entgegen ihrer breiten 
        biblischen Legitimation und langen ökumenischen Tradition heute weniger 
        bereitwillig akzeptiert wird als vor fünf Jahren, als der Kalte Krieg 
        seinem Ende zuging. Zwar leben wir heute nicht mehr in einer Situation, 
        in der sich die beiden Machtblöcke mit ihren nuklearen Abschreckungssystemen 
        gegenüberstehen, doch hat die Auflösung des alten Gleichgewichts 
        des Schreckens nicht zu einer neuen internationalen Friedens- und Gerechtigkeitsordnung 
        geführt. Vielmehr sind zahlreiche Bürgerkriege ausgebrochen, 
        die in völliger Missachtung der elementarsten Normen des humanitären 
        Völkerrechts ausgetragen werden. Die Einsichten und Überzeugungen, 
        die wir in unserem jahrelangen Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit 
        gewonnen haben, helfen uns anscheinend nicht angesichts der Gewalt, die 
        in diesen Konflikten zum Ausbruch kommt. Wir müssen mit unserer Analyse 
        noch einmal von vorne anfangen und sollten dabei auch unsere Praxis kritisch 
        überprüfen. Als Christen können wir nicht anders, als an 
        der Hoffnung festhalten, dass Gott seiner Verheissung des Schalom treu 
        bleiben wird. Es ist wohl eher dieser eschatologische Realismus als unsere 
        moralischen und ethischen Überzeugungen im Zusammenhang mit Frieden 
        und Gewaltlosigkeit, der uns vor Selbstgerechtigkeit oder Verzweiflung 
        bewahrt. 
       I. 
        Unser gemeinsames Vermächtnis 
        Die ökumenische Bewegung 
        hat sich von Anfang an für den Aufbau einer dauerhaften Friedensordnung 
        eingesetzt. Man kann nicht genug auf die frühen Impulse hinweisen, 
        die von der Kirchlichen Friedensunion ausgingen, an den Beitrag der Christen 
        zur Zweiten Haager Friedenskonferenz sowie an die Gründung des Internationalen 
        Versöhnungsbundes und des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit 
        der Kirchen. Wichtigster Ausdruck dieses frühen Engagements war die 
        von Erzbischof Nathan Söderblom angeregte Bewegung für Praktisches 
        Christentum. In einer gemeinsamen Resolution des Weltbundes und der Bewegung 
        für Praktisches Christentum, die ein Echo auf den Briand-Kellogg-Pakt 
        von 1928 darstellte, wurden die entscheidenden Elemente für ein ökumenisches 
        Zeugnis für Frieden und gewaltlose Konfliktlösung formuliert. 
        Diese sogenannte Eisenach-Avignon-Resolution von 1928/29 verwarf den Krieg 
        als Mittel zur Beilegung von Konflikten und erklärte ihn als unvereinbar 
        mit dem Geist und dem Weg Jesu Christi und seiner Kirche. Die Resolution 
        forderte mit Nachdruck dazu auf, alle internationalen Konflikte und Streitigkeiten, 
        die nicht auf dem normalen diplomatischen Weg beigelegt werden können, 
        einem verbindlichen Schlichtungsverfahren, z.B. vor dem Internationalen 
        Gerichtshof, zu unterwerfen. Sie rief die Kirchen dazu auf, unmissverständlich 
        zu erklären, dass sie einen Krieg, dem nicht ein solches Schlichtungs- 
        oder Vermittlungsverfahren vorausgegangen ist, weder unterstützen 
        noch an ihm teilnehmen werden. 
       Zwischen dieser Resolution und den 
        Aussagen der ökumenischen Versammlungen im Rahmen des konziliaren 
        Prozesses (JPIC) 1989/90 besteht eine Analogie. Sie wurden jeweils zu 
        einer Zeit formuliert, als Hoffnung bestand, dass der Krieg als eine Institution 
        überwunden und geächtet werden könnte. In beiden Fällen 
        änderte sich jedoch bald darauf das internationale Klima grundlegend. 
        Die auf die Eisenach-Avignon-Resolution folgenden drei Jahrzehnte wurden 
        immer stärker von einer Atmosphäre der Konfrontation bestimmt, 
        die schliesslich zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte. Die 
        Erste Vollversammlung des ÖRK 1948 in Amsterdam konnte daher nur 
        die Überzeugung der Oxforder Konferenz von 1937 wiederholen, dass 
        Krieg nach Gottes Willen nicht sein solle und dass er als ein Zeichen 
        der Macht der Sünde in dieser Welt verurteilt werden müsse. 
        Zugleich aber gebot der Realismus den Christen, mit der Manifestation 
        menschlicher Bosheit und Sünde zu rechnen, und so konnte die Vollversammlung, 
        genau wie die Konferenz von Oxford, nur bestätigen, dass es in der 
        Frage von Krieg und Frieden drei widerstreitende Grundpositionen gab. 
        Diese Positionen waren: 
        
        1. die Haltung des klassischen 
        Pazifismus, der sich jeder Teilnahme am Krieg verweigert und an die Stelle 
        bewaffneter Gewalt die aktive Friedensarbeit setzt; 
        2. die Haltung der klassischen 
          Staatsethik, wonach der Staat als von Gott eingesetzte Erhaltungsordnung 
          notfalls auch zur Anwendung von Gewalt bereit sein muss, um die Gerechtigkeit 
          zu verteidigen, und dass er Christen zur Verteidigung ihres Landes zum 
          Waffendienst verpflichten kann; 
         3. die Haltung einer konsequenten 
          Anwendung der Lehre vom gerechten Krieg, die zu der Schlussfolgerung 
          kommt, dass der moderne, mit Massenvernichtungswaffen geführte 
          Krieg niemals ein Akt der Gerechtigkeit sein kann. Diese Wiederentdeckung 
          der kritischen Funktion der Lehre vom gerechten Krieg kann wohl als 
          der bedeutendste Beitrag der frühen ökumenischen Konferenzen 
          zu einer ökumenischen Friedensethik betrachtet werden.   
      Die Vollversammlung von Amsterdam 
        hatte am Vorabend des Beginns des Kalten Krieges stattgefunden, und so 
        waren die darauffolgenden Jahre durch das kontinuierliche Eintreten für 
        Abrüstung und Rüstungsbeschränkung geprägt. Wichtiger 
        noch war jedoch die Tatsache, dass man in diesen Jahren die unauflösliche 
        Zusammengehörigkeit von Frieden und Gerechtigkeit wiederentdeckte. 
        Frieden ist mehr als Abwesenheit von Krieg. Nicht nur Waffen bedrohen 
        den Frieden, sondern auch Hunger, Unterdrückung und Ungerechtigkeit. 
        Der Satz aus der Entwicklungsenzyklika von Papst Paul VI. "Popolorum 
        Progressio" (1967): "Entwicklung ist der neue Name für 
        Frieden", fasst diese neue Einsicht prägnant zusammen. Damit 
        verbunden war eine zunehmend kritische Einschätzung aller Konzepte 
        zur Sicherung des Friedens, die rein militärisch orientiert waren, 
        insbesondere der Doktrin der "nationalen Sicherheit". Wenn diese 
        Einsichten auch eindeutig durch die internationale Konfrontationslage 
        während des Kalten Krieges geprägt waren, so dürfen wir 
        ihren grundlegenden Einfluss doch nicht aus den Augen verlieren. Die Erklärung 
        der Vollversammlung von Vancouver zu "Frieden und Gerechtigkeit" 
        stellt nach wie vor die verbindliche Zusammenfassung der in dieser Zeit 
        gesammelten kritischen Einsichten und Überzeugungen dar. 
       Die ökumenische Überzeugung, 
        dass "es nirgendwo je Frieden geben kann, wenn es nicht überall 
        für alle Gerechtigkeit gibt", wurde im Rahmen des Programms 
        zur Bekämpfung des Rassismus und dessen Unterstützung für 
        Befreiungsbewegungen, die dem Unrecht des Rassismus mit militärischen 
        Mitteln begegneten, auf ihre härteste Probe gestellt. Diese Herausforderung 
        löste die bisher weitgehendste Reflexion des Ökumenischen Rates 
        der Kirchen über "Gewalt und Gewaltlosigkeit im Kampf für 
        soziale Gerechtigkeit" aus. Dabei wurden schliesslich die drei klassischen 
        Grundhaltungen zu Krieg und Gewalt bekräftigt und die Vertreter der 
        drei Positionen zur wechselseitigen Überprüfung ihrer Überzeugungen 
        aufgefordert. Hinter diesen Grundhaltungen stehen verschiedene Auffassungen 
        von dem Verhältnis der christlichen Gemeinschaft zur Staatsmacht. 
        Diese versteckten Prämissen einer christlichen politischen Ethik 
        müssen eingehender untersucht werden, wenn wir aus der Sackgasse 
        herauskommen wollen, in die die ökumenische Bewegung in Fragen von 
        Krieg und Frieden, Gewalt und Gewaltlosigkeit geraten ist. 
        II. Die neue 
        Weltlage nach Beendigung des Kalten Krieges 
        Die internationalen Veränderungen 
        nach 1989 haben tiefgreifende Implikationen für unsere Definition 
        von Frieden und unsere Praxis der Friedenskonsolidierung. Ich brauche 
        hier auf die Abfolge der verschiedenen Ereignisse nicht weiter einzugehen, 
        doch müssen einige Elemente herausgehoben werden. Entgegen einer 
        eurozentrischen Betrachtungsweise der grundlegenden Veränderungen, 
        die stattgefunden haben, müssen wir uns vor Augen halten, dass das 
        Jahr 1989-90 wohl einer jener epochemachenden Zeitabschnitte gewesen ist, 
        die weltweite Konsequenzen haben. Die einschneidenden Ereignisse erschöpfen 
        sich daher nicht im Zusammenbruch des Staatssozialismus in Osteuropa, 
        sondern dazu gehören genauso das inzwischen besiegelte Ende der Apartheid 
        in Südafrika, die neue Machtkonstellation in Mittelamerika, aber 
        auch die Unterdrückung der Demokratiebewegung in der Volksrepublik 
        China. Der Wandel in Europa hat in der "Charta für ein neues 
        Europa", die auf dem KSZE-Gipfel im November 1990 in Paris angenommen 
        wurde, seinen prägnanten Ausdruck gefunden. Parallel dazu wurde der 
        erste wirkliche Abrüstungsprozess in Gang gesetzt, der weit über 
        die bisherigen Massnahmen der Rüstungskontrolle hinausging. In zahlreichen 
        anderen Teilen der Welt haben diese Veränderungen zu entschlossenen 
        Schritten auf dem Weg zur Demokratie geführt, und auf internationaler 
        Ebene ist die veränderte Rolle der Vereinten Nationen ein sichtbarer 
        Ausdruck für den Anbruch einer neuen Phase in den internationalen 
        Beziehungen. Das Ende des Kalten Krieges bedeutete ein Ende der bipolaren 
        Konfrontation, die nicht nur die europäische und nordatlantische 
        politische Bühne jahrzehntelang beherrscht, sondern auch den Rahmen 
        für die Weltpolitik insgesamt abgesteckt hatte. Die Frage einer internationalen 
        Friedensordnung ist nicht länger nur Gegenstand theoretischer Diskussionen, 
        sondern ist heute in den Mittelpunkt internationaler Politik getreten. 
       Der Golfkrieg, der nur kurze Zeit 
        nach diesen epochemachenden Veränderungen geführt wurde, zeigte 
        jedoch deutlich, dass der Schritt von der Konfrontation zur Kooperation 
        weder automatisch noch eindeutig ist. Die Debatte, die während der 
        Siebten Vollversammlung des ÖRK in Canberra über die Erklärung 
        zum Golfkrieg geführt wurde, liess erkennen, dass die Kirchen noch 
        nicht in der Lage sind, eine kohärente Antwort auf die Frage zu geben, 
        wie internationale Konflikte auf Wegen beigelegt werden können und 
        sollten, die Frieden in Gerechtigkeit fördern. Dieses Dilemma ist 
        angesichts der jüngsten gewalttätigen Konflikte im ehemaligen 
        Jugoslawien und in mehreren afrikanischen Ländern noch schärfer 
        zutage getreten. Das Wiederaufleben des Nationalismus, die Erfahrung von 
        Völkermord und ethnischer Säuberung sowie die Unfähigkeit 
        der Vereinten Nationen, ihre Rolle als Instrument der Friedenssicherung 
        zu spielen, haben ein Klima der Verunsicherung und Verwirrung geschaffen. 
        Weder politisch noch ethisch herrscht Klarheit darüber, wie die Probleme 
        zu definieren sind und folglich, wie sie angemessen gelöst werden 
        können. Am meisten irritiert jedoch die Tatsache, dass nationale 
        Identität, ethnisches Selbstbewusstsein und religiöse Zugehörigkeit 
        in der Mehrzahl dieser Konflikte mehr und mehr zu einer explosiven Mischung 
        werden, die eine Lösung der Probleme schier unmöglich erscheinen 
        lässt. Zwar werden nur wenige der nach dem Kalten Krieg aufgebrochenen 
        Konflikte primär aus religiösen Gründen ausgetragen, doch 
        werden religiöse Loyalitäten für politische Zwecke instrumentalisiert 
        und manipuliert, und die betroffenen religiösen Gemeinschaften, ob 
        Christen. Muslime oder andere, haben sich weitgehend als unfähig 
        erwiesen, sich gegen diese Pervertierung ihrer wahren Integrität 
        zu schützen. Daraus folgt, dass religiöse Gemeinschaften, einschliesslich 
        der christlichen Kirchen, in demselben Masse Teil des Problems sind wie 
        sie zu seiner Lösung beitragen könnten. 
       Die rapide Veränderung des internationalen 
        Klimas in den Jahren nach 1989 erinnert an eine analoge Veränderung 
        des politischen Klimas vor sechzig Jahren. Die hohen Erwartungen während 
        der ausgehenden 20er Jahre, wie sie im Briand-Kellogg-Pakt und in dessen 
        ökumenischem Gegenstück, der Eisenach-Avignon-Resolution, zum 
        Ausdruck kamen, wurden mit dem Aufkommen von Faschismus, Stalinismus und 
        Nationalsozialismus enttäuscht. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 
        und danach leitete die Entwicklung ein, die letztlich zum Zweiten Weltkrieg 
        führte. Bei aller Vorsicht, die bei historischen Analogien geboten 
        ist, fordert die gegenwärtige Brüchigkeit der internationalen 
        Ordnungsstrukturen von den Christen ein noch entschiedeneres Zeugnis im 
        Dienst von Frieden und Gerechtigkeit. 
       Auf ökumenischer Ebene sind 
        die Jahre 1989-90 als Höhepunkt des konziliaren Prozesses für 
        Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung anzusehen. Zwar 
        wurden die im Verlauf dieses Prozesses gewonnenen Einsichten und Überzeugungen 
        von den darauffolgenden Ereignissen weitgehend überschattet, doch 
        kann die ökumenische Bewegung nicht hinter den breiten Konsensus 
        zurückgehen, der in diesen Jahren unter voller Beteiligung der römisch-katholischen 
        Kirche erreicht worden ist. Vier Grundüberzeugungen können herausgestellt 
        werden, die für unsere gegenwärtige Reflexion weiterhin als 
        Richtlinien dienen sollten. 
        
        1. Krieg ist kein legitimes 
        Mittel zwischenstaatlicher Politik mehr. Moderne Kriege unter Einsatz 
        von Massenvernichtungswaffen, die keinen Unterschied zwischen Zivilbevölkerung 
        und Kriegsteilnehmern machen, müssen nach den ethischen Kriterien 
        der Lehre vom gerechten Krieg abgelehnt und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit 
        geächtet werden. 
        2. Gerechtigkeit und Frieden gehören 
          untrennbar zusammen. Frieden ist nicht allein Abwesenheit von Krieg, 
          und Strukturen der Ungerechtigkeit stellen eine permanente Bedrohung 
          für die Sicherheit der Menschen dar. Der Prozess der Erhaltung 
          und Konsolidierung des Friedens muss begleitet sein von dem beharrlichen 
          Eintreten für grössere Gerechtigkeit und konsequentere Respektierung 
          der Menschenrechte. An die Stelle der klassischen Lehre vom gerechten 
          Krieg, die Kriege verhindern oder begrenzen sollte, muss heute die Konzeption 
          eines gerechten Friedens treten. Krieg kann nicht länger ein Akt 
          der Gerechtigkeit sein. 
         3. Sicherheit ist nicht allein 
          ein militärisches Problem im Zusammenhang mit der Erhaltung staatlicher 
          Ordnung und Integrität. Es geht vielmehr darum, dass die Menschen 
          in Sicherheit leben können. Eine solche Sicherheit kann nur in 
          Zusammenarbeit, d.h. als gemeinsame Sicherheit gewährleistet werden. 
          Daher sind kooperative Sicherheitssysteme auf regionaler Basis zentrale 
          Bausteine einer neuen internationalen Friedensordnung. 
         4. Dem langjährigen Zeugnis 
          der historischen Friedenskirchen für Gewaltlosigkeit kommt in der 
          heutigen Situation neue Bedeutung zu. Es stellt die grundlegendste Herausforderung 
          an die herrschende Kultur der Gewalt dar und ist daher nicht mehr länger 
          eine zwar achtenswerte, aber idealistische und apolitische Position, 
          sondern es lässt deutlich werden, dass eine neue politische Vernunft 
          gefordert ist, die wir erlernen müssen, wenn die Menschheit überleben 
          soll.   
      Diese Überzeugungen, die noch 
        vor vier oder fünf Jahren auf breite Zustimmung gestossen sind, scheinen 
        heute fehl am Platz in einer Situation, in der Kriege zunehmend wieder 
        als ein legitimes Mittel der Politik betrachtet werden. Aggression, so 
        wird behauptet, kann nur durch Gewalt gestoppt werden, und von den Kirchen 
        wird wieder erwartet, dass sie den Einsatz militärischer Macht zur 
        Verteidigung der internationalen Ordnung und humanitärer Grundsätze 
        unterstützen oder sich zumindest der öffentlichen Kritik enthalten. 
        Die Lehre vom gerechten Krieg wird wieder zur Legitimierung "humanitärer 
        Interventionen" benutzt, und alte Feindbilder, die man längst 
        überwunden glaubte, tauchen in neuem Gewande wieder auf. Die entscheidende 
        Frage ist, ob wir auf die Unsicherheit und Turbulenzen der gegenwärtigen 
        Situation nach dem Reaktionsmuster antworten wollen, das sich in den Jahrzehnten 
        der Konfrontation herausgebildet hat, oder ob wir die heutige Situation 
        als eine Phase des Übergangs und der Neuorientierung verstehen können. 
        Zum erstenmal seit sechzig Jahren ist die Verwirklichung einer neuen internationalen 
        Friedensordnung, die von einer neuen Vision und Praxis untermauert wird, 
        möglich und gleichzeitig auch dringend notwendig geworden. 
        III. 
        Der Beitrag der Kirchen zum Aufbau einer Friedensordnung 
        Christen und Kirchen leben 
        in der Verheissung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in denen 
        Gerechtigkeit wohnt. Zum alttestamentlichen Schalom-Begriff gehören 
        die Dimensionen Frieden, Gerechtigkeit und Ganzheit der Schöpfung. 
        Der biblische Befehl an die Jünger Christi, Frieden zu stiften und 
        Versöhnung zu predigen, gewinnt angesichts des Zusammenbruchs von 
        Gemeinschaften und der Ausbreitung einer Kultur der Gewalt eine neue Dringlichkeit. 
        Die JPIC-Weltversammlung 1990 in Seoul rief zur Förderung einer Kultur 
        der aktiven Gewaltlosigkeit auf, die lebensfreundlich ist und keinen Rückzug 
        aus Situationen der Gewalt oder Unterdrückung darstellt, sondern 
        ein Engagement für Gerechtigkeit und Befreiung. Die Teilnehmer und 
        Teilnehmerinnen verpflichteten sich, "unsere persönlichen Beziehungen 
        gewaltlos zu gestalten. Wir werden darauf hinarbeiten, dass auf den Krieg 
        als legales Mittel zur Lösung von Konflikten verzichtet wird. Wir 
        verlangen von den Regierungen, dass sie eine internationale Rechtsordnung 
        schaffen, die der Verwirklichung des Friedens dient." In einem Hintergrundpapier 
        zur "Überwindung von Geist, Logik und Praxis des Krieges", 
        das auf der Tagung des ÖRK-Zentralausschusses im Januar 1994 in Johannesburg 
        vorgelegt wurde, hiess es: "Angesichts der Notwendigkeit, dem 
        Geist, der Logik und der Praxis des Krieges' entgegenzutreten und sie 
        zu überwinden und neue theologische Ansätze zu entwickeln, die 
        den Lehren Christi entsprechen - also nicht vom Krieg ausgehen, um zum 
        Frieden zu kommen, sondern bei der Notwendigkeit von Gerechtigkeit ansetzen 
        -, mag es an der Zeit sein, dass die Kirchen gemeinsam die Herausforderung 
        annehmen, auf jede theologische oder sonstige Rechtfertigung des Einsatzes 
        militärischer Gewalt zu verzichten - ob im Krieg oder im Rahmen eines 
        Sicherheitssystems, das auf militärischer Abschreckung beruht -, 
        und eine Koinonia zu werden, die sich für einen gerechten Frieden 
        einsetzt." 
       Ein grosser Teil der heutigen Konflikte 
        ist auf Unrechtsverhältnisse zurückzuführen, d.h. auf die 
        immer breiter werdende Kluft zwischen Arm und Reich (innerhalb von Staaten 
        wie auch im zwischenstaatlichen Vergleich), auf Machtkämpfe, Wiederaufleben 
        von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Gewalt gegen Frauen und Kinder, 
        rücksichtslosen Verbrauch der natürlichen Ressourcen, Ausbreitung 
        des Waffenhandels - während Millionen Menschen an Mangelernährung 
        und Krankheiten sterben. Zahlreiche Konflikte gehen auch auf alte Streitigkeiten 
        zurück, die in der Zeit der Konfrontation der beiden Grossmächte 
        unterdrückt worden waren, d.h. auf Spannungen zwischen ethnischen, 
        nationalen, Religions-, Sprachen- und Rassengruppen. In vielen solchen 
        Fällen ist der Versuch, den Konflikt mit Mitteln der Gewalt zu regeln, 
        ein Indiz dafür, dass selbst die elementarsten Formen der Kommunikation 
        nicht mehr funktionieren. Viele der heutigen Konflikte hätten wohl 
        niemals ein so erschreckendes Ausmass an Gewalt angenommen, wenn nicht 
        so reichlich hochentwickelte und immer kostspieligere Waffen zur Verfügung 
        gestanden hätten und wenn das Militär nicht von der Ideologie 
        der nationalen Sicherheit indoktriniert wäre. 
       Frieden schaffen ist zweifellos eine 
        komplexe Aufgabe, und der Beitrag, den Christen und Kirchen dazu leisten 
        können, muss mit realistischer Bescheidenheit gesehen werden. Verglichen 
        mit der Situation vor sechzig Jahren haben die Kirchen heute auf der ganzen 
        Welt nur begrenzt die Möglichkeit, die politischen Entscheidungsprozesse 
        zu beeinflussen. Die historischen Kirchen, insbesondere evangelischer 
        und orthodoxer Tradition, sehen sich dem Dilemma einer zweigeteilten Loyalität 
        ausgesetzt, gegenüber ihrem Volk und Land auf der einen und gegenüber 
        dem universalen Leib Christi auf der anderen Seite. Ich möchte auf 
        drei Möglichkeiten hinweisen, wie die Kirchen zum Aufbau einer internationalen 
        Friedensordnung beitragen können: durch Förderung eines grundlegenden 
        Bewusstseinswandels, durch den Aufbau von Beziehungsnetzen und durch Unterstützung 
        konkreter Initiativen, die dem Frieden und der gewaltlosen Beilegung von 
        Konflikten dienen. 
        
        a) 
        Förderung des Bewusstseinswandels. Ist die Überwindung der Institution 
        des Krieges ein idealistisches, utopisches Ziel? Noch immer jedenfalls 
        gilt es als realistisch, von der geschichtlichen Unvermeidlichkeit militärischer 
        Konflikte zwischen Staaten auszugehen. Ethik und Rechtsordnung waren bisher 
        allenfalls darauf ausgerichtet, den Krieg zu zähmen und einzugrenzen, 
        d.h. den Rahmen festzulegen, innerhalb dessen Kriege als legitime Fortsetzung 
        der Politik mit anderen Mitteln angesehen werden konnten. Diese traditionelle 
        Einstellung zum Krieg findet ihre geschichtliche Analogie in der Institution 
        der Fehde zur Regelung von Konflikten zwischen Sippen, Familien oder Einzelpersonen 
        in früheren Gesellschaften. Die christlichen Kirchen haben im ausgehenden 
        Mittelalter entscheidend zur Durchsetzung eines allgemeinen Landfriedens 
        beigetragen und damit den Weg zur Überwindung der Fehde geebnet. 
        An ihre Stelle trat eine staatlich geschützte Rechtsordnung, und 
        dem Staat wurde das Gewaltmonopol zuerkannt. 
        Wir stehen heute an dem Punkt, 
          wo im Blick auf zwischenstaatliche Konflikte derselbe Schritt unternommen 
          werden muss. Die alten ethischen und rechtlichen Regeln greifen im Zeitalter 
          der Massenvernichtungswaffen nicht mehr. An die Stelle der militärischen 
          Konfliktregelung muss eine internationale Rechtsordnung treten, die 
          die Integrität und die Rechte von Völkern und Staaten wirksam 
          schützt und damit den Einsatz militärischer Gewalt zur Verteidigung 
          der Souveränität überflüssig macht. Diese Forderung 
          mag utopisch klingen, doch ist sie zu einer Überlebens-notwendigkeit 
          geworden. Die Verwirklichung einer solchen Rechtsordnung setzt einen 
          grundlegen politischen und moralischen Bewusstseinswandel voraus, der 
          Zeit braucht. Und gerade hier haben die Kirchen einen unverzichtbaren 
          Beitrag zu leisten. 
         Ihre potentiell bedeutende Rolle 
          wird erkennbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass alle kriegführenden 
          Staaten sich der moralischen oder religiösen Legitimation ihres 
          Handelns zu versichern suchen. Kriege sind immer ein ethischer Grenzfall, 
          und deshalb suchen die Verantwortlichen nach religiös begründeter 
          Rechtfertigung und reagieren empfindlich, wenn ihnen diese verweigert 
          wird. Wenn die Kirchen allerdings auf eine Entlegitimierung des Krieges 
          hinarbeiten wollen, dann müssen sie sich ernsthaft auf die Bedingungen 
          für einen gerechten Frieden konzentrieren, anstatt weiter über 
          die relative Gerechtigkeit von Kriegen nachzudenken. 
         Die Charta der Vereinten Nationen 
          sieht einen Katalog von Massnahmen zur Friedenssicherung vor, die bislang 
          jedoch nur selten wirklich angewandt worden sind. Dies gilt insbesondere 
          für den Internationalen Gerichtshof, dessen Urteilen diejenigen 
          Staaten, die der Verletzung völkerrechtlicher Grundsätze angeklagt 
          werden, häufig mit höflichem Desinteresse begegnen. Die Einrichtung 
          eines internationalen Tribunals zur Verfolgung von Kriegsverbrechern 
          im ehemaligen Jugoslawien könnte ein wichtiger Schritt zur Beendigung 
          der allgemeinen Straffreiheit sein, die diejenigen geniessen, die sich 
          massiver Verletzungen der Menschenrechte schuldig gemacht haben. Eines 
          der wichtigsten Ziele im Rahmen dieses neuen Ansatzes zur friedlichen 
          Beilegung von Konflikten muss in jedem Fall das Bemühen sein, die 
          Respektierung der Grundnormen des humanitären Völkerrechts 
          wiederherzustellen und fester zu verankern. Es geht hierbei um die Grundlagen 
          unseres Zusammenlebens als Staatsbürger und als Mitmenschen, und 
          die Kirchen können in diesem Bereich einen wichtigen Beitrag leisten. 
         Der Golfkrieg, aber auch der Konflikt 
          im ehemaligen Jugoslawien haben die Grenzen der UN-Einflussnahme gezeigt 
          und zu einer Reihe von Vorschlägen für eine Reform des Systems 
          der Vereinten Nationen und ihrer Charta geführt. Ein konkreter 
          Bereich, der ein Überdenken erfordert, ist die Anwendung von wirtschaftlichen 
          Sanktionen und anderen Embargoformen mit dem Ziel, Druck auf die Konfliktparteien 
          auszuüben und eine Einigung oder zumindest eine Begrenzung des 
          Konflikts zu erreichen. Während die Sanktionspolitik im Fall des 
          Apartheidregimes in Südafrika zunehmende Unterstützung gefunden 
          und wohl zum endgültigen Zusammenbruch des Systems beigetragen 
          hat, werden im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Serbien oder Haiti 
          zahlreiche Zweifel angemeldet. In beiden Fällen hat die Verhängung 
          von Sanktionen unbeabsichtigt dazu geführt, dass die Position der 
          Machtinhaber gestärkt und der Konflikt infolgedessen verlängert 
          wurde. Der Zentralausschuss des ÖRK hat auf seiner Tagung in Johannesburg 
          die Empfehlung angenommen, eine Studie zur Sanktionspolitik und ihrer 
          Anwendung als Instrument der gewaltlosen Beilegung von Konflikten in 
          Auftrag zu geben. Ein konkretes Beispiel ist der Einsatz von Waffenembargos 
          und die Entwicklung internationaler Kontrollmechanismen für den 
          Waffenhandel. In allen genannten Fällen können die Kirchen 
          entscheidend dazu beitragen, solchen Vorstössen die notwendige 
          Öffentlichkeit und Politikfähigkeit zu verschaffen. 
         b) 
          Aufbau von Beziehungsnetzen. So wichtig es auch ist, dass sich die Kirchen 
          öffentlich für solche Vorschläge und Vorgehensweisen 
          zur gewaltlosen Beilegung von Konflikten stark machen, so dürfen 
          wir doch nicht vergessen, dass die Kirchen und die ökumenischen 
          Organisationen nicht in erster Linie öffentliche Institutionen 
          sind, sondern Gemeinschaften von Menschen. Worauf es ankommt, das sind 
          die Erfahrungen von Menschen in Konfliktsituationen und ihr aktiver 
          Beitrag zum Aufbau eines neuen staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins, 
          das sowohl innerhalb als auch zwischen Gesellschaften zum Tragen kommt. 
          Immer mehr gewalttätige Konflikte entstehen aus Machtrivalitäten 
          zwischen kleinen Eliten, die ganze Bevölkerungen als Geiseln nehmen. 
          In dieser Situation wird es um so wichtiger, dass sich die Kirchen und 
          die ökumenischen Organisationen darauf konzentrieren, die elementaren 
          Bindungen innerhalb der Gemeinschaften zu festigen oder das soziale 
          Beziehungsnetz neu zu knüpfen, wenn dieses zerstört worden 
          ist. In vielen Gesellschaften sind der Wiederaufbau von Gemeinschaft 
          und der Abbau von tiefverwurzelten Feindbildern zu vorrangigen Aufgaben 
          geworden, die die Zusammenarbeit aller Mitglieder der Zivilgesellschaft 
          erfordern. Zu den überlieferten Werten vieler Kulturen und insbesondere 
          der traditionalen Gesellschaften zählen Kenntnisse der gewaltlosen 
          Konfliktbeilegung und des Widerstands gegen Gewalt von aussen. Jüngere 
          Beispiele der Friedensforschung und -praxis in verschiedenen Kontexten 
          belegen, dass diese traditionalen Netzwerke sozialer Beziehungen im 
          Interesse der Friedensschaffung und Konfliktlösung mobilisiert 
          werden können. 
         Ein verwandter Aspekt ist die Einrichtung 
          von Frühwarnsystemen zur Konfliktprävention. Früherkennung 
          und rechtzeitige Vorbeugung erfordern neue und andere Wege, Informationen 
          zu sammeln und weiterzugeben, d.h. ein Informationssystem, das die Signale 
          aus der Alltagswirklichkeit der Menschen aufnimmt. Kirchen und ökumenische 
          Einrichtungen haben in diesem Bereich einen Vorteil gegenüber Regierungen 
          und zwischenstaatlichen Einrichtungen, weil sie in allen Teilen der 
          Welt in den kleinsten Lebenszusammenhängen der Menschen verwurzelt 
          sind. Vorausgesetzt, sie entwickeln das notwendige Gespür, so müssten 
          sie in der Lage sein, Konflikte zu erkennen, bevor diese offen ausbrechen. 
          Sie können daher zur Früherkennung von innerstaatlichen und 
          zwischenstaatlichen Konflikten beitragen und vorbeugenden Massnahmen 
          den Weg bereiten. 
         Eine der Grundursachen für 
          gesellschaftliche und internationale Konflikte zwischen Staaten und 
          Bevölkerungsgruppen ist die verzerrte Wahrneh-mung der anderen, 
          ihrer Absichten und Interessen. Der Golfkrieg und der Konflikt im ehemaligen 
          Jugoslawien haben höchst beunruhigende Beispiele dafür geliefert, 
          in welchem Masse heute Propaganda und gezielte Falschinformation als 
          Waffen gegen den jeweiligen Feind eingesetzt werden. Auf diesem Hintergrund 
          gewinnt die Grundüberzeugung der Weltversammlung in Seoul neue 
          Bedeutung, in der es heisst: "Wir bekräftigen, dass die Wahrheit 
          zur Grundlage einer Gemeinschaft freier Menschen gehört." 
          Eine gerechte internationale Friedensordnung kann nur dann Bestand haben, 
          wenn alle Seiten uneingeschränkten Zugang zu den Informationsmitteln 
          haben und gleichzeitig in der Lage sind, ihre eigene Situation ungehindert 
          darzustellen. Die Kirchen können daher zum Aufbau einer dauerhaften 
          Friedensordnung beitragen, wenn sie sich zu unerschrockenen Anwälten 
          der Wahrheit machen und sich für eine uneingeschränkte Kommunikation 
          einsetzen. Insbesondere können sie als Vermittler und Überbringer 
          von wahrheitsgetreuen Informationen zwischen den Konfliktparteien agieren. 
          Sie können Propaganda und Falschinformationen aufdecken und so 
          den Boden für eine mögliche Beilegung des Konflikts bereiten. 
         Wie ich bereits erwähnt habe, 
          wird die Religion in vielen Fällen zu einem wichtigen Faktor in 
          der Dynamik von Konflikten. Besonders in Osteuropa, aber auch in anderen 
          Teilen der Welt ist die öffentliche Rolle der Religion als eine 
          der Grundlagen kollektiver Identität wieder deutlich hervorgetreten. 
          In Anbetracht der Tendenz, die Religion für politische Zwecke zu 
          instrumentalisieren und zu manipulieren, müssen alle Religionsgemeinschaften 
          und speziell die Kirchen es als ihre Verantwortung betrachten, die Gefahr 
          eines wirklichen Religionskonflikts mit allen seinen irrationalen Zügen 
          abzuwenden. Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat es sich die ökumenische 
          Bewegung zur Aufgabe gemacht, unter Beweis zu stellen, dass die weltweite 
          christliche Gemeinschaft ein solidarisches Beziehungsnetz ist, das nationale, 
          ethnische, kulturelle und sprachliche Grenzen überschreitet. Heute 
          gilt es, diese Aufgabe auf das Verhältnis zwischen den Weltreligionen 
          auszuweiten. Alle Religionen kennen und anerkennen das Grundgebot der 
          Nächstenliebe. Religionskonflikte stellen daher immer eine Verletzung 
          dieser Grundverpflichtung dar. Kirchen und Christen müssen deshalb 
          dazu bereit sein, der Kreuzzugsmentalität den Boden zu entziehen 
          und für eine globale Ethik des Friedens und der Gewaltlosigkeit 
          einzutreten. Die Arbeit der Weltkonferenz für Religion und Frieden 
          und die Erklärung des Weltparlaments der Religionen, das unlängst 
          in Chicago zusammentrat, sind als wichtige Bemühungen in dieser 
          Richtung anzusehen. Sie müssen allerdings umgesetzt und den jeweiligen 
          alltäglichen Beziehungen verschiedener, an einem Ort zusammenlebender 
          Religionsgemeinschaften angepasst werden. 
         c) 
          Initiativen im Dienst von Frieden und gewaltloser Konfliktregelung. 
          Ein konkreter Vorschlag, der sich im Zuge des konziliaren Prozesses 
          herausgebildet hat, gilt der Einrichtung von ökumenischen Friedens-diensten 
          für Gerechtigkeit und Versöhnung. Dieser Vorschlag gründet 
          in den Erfahrungen der christlichen Friedenskirchen und zahlreicher 
          ähnlicher Initiativen ohne explizit religiösen Hintergrund. 
          Es gibt heute in der internationalen Versöhnungsarbeit genug Zeugnisse 
          dafür, dass nicht nur innerstaatliche, sondern auch internationale 
          Konflikte durch die verschiedenen Formen öffentlicher Präsenz 
          sowie durch frühzeitige Information und kompetente Vermittlung 
          entschärft oder gar gelöst werden können. Im christlichen 
          Kontext hat sich hier eine neue Form des politischen Diakonats herausgebildet, 
          die nach offizieller Anerkennung auch durch die grossen Kirchen verlangt. 
          Vergegenwärtigt man sich, mit welchem Aufwand junge Menschen für 
          den Kriegsdienst ausgebildet und vorbereitet werden, dann wird deutlich, 
          wie unterentwickelt die Kompetenz der Gesellschaft zur gewaltlosen Lösung 
          von Konflikten ist. Die neueren Erfahrungen mit dem Einsatz von UN-Friedenstruppen 
          sind Beispiele dafür, dass militärisch ausgebildete Soldaten 
          nur ungenügend darauf vorbereitet sind, als Friedensstifter zu 
          wirken, und dass sie in dieser Rolle nicht selbstverständlich von 
          der Bevölkerung in den Konfliktgebieten anerkannt werden. Solange 
          es noch keine erkennbare Neuorientierung der politischen Prioritäten 
          gibt, müssten die Kirchen Initiativen ergreifen, um Menschen für 
          die Aufgaben der Konflikt-beobachtung, Vermittlung und Schlichtung vorzubereiten 
          und auszubilden. Die Erfahrungen der Friedensbrigaden in Mittelamerika, 
          der Friedens-komitees in Nicaragua oder des Ökumenischen Beobachtungsprogramms 
          Südafrika sind hier als Anregung und Ermutigung zu werten. 
         So wichtig solche Initiativen zur 
          Eindämmung oder Beilegung von Konflikten im Frühstadium auch 
          sind, in der Mehrzahl der Fälle werden Kirchen und christliche 
          Gemeinschaften in die Dynamik gewalttätiger Konflikte hineingezogen. 
          Die Erfahrungen der letzten Jahre haben eine wichtige Form des christlichen 
          Versöhnungsdienstes erkennbar gemacht: den Dienst an Menschen, 
          denen Krieg, Gewalt und Folter emotionale und psychologische Traumata 
          zugefügt haben. Die im früheren Jugoslawien eingerichteten 
          Zentren für Frauen, die vergewaltigt worden sind, das Trauma-Zentrum 
          in Kapstadt und ähnliche Einrichtungen für Kinder, die Zeugen 
          von Greueltaten, oftmals in ihrer engsten Familie, geworden sind, belegen, 
          wie dringend die Opfer von Krieg und Gewalt spirituelle, seelsorgerliche 
          und psychologische Hilfe brauchen. Diese Wunden heilen oft viel langsamer 
          als die körperlichen Wunden, doch wird in diesen Heilungsprozessen 
          die Saat für eine künftige Versöhnung gesät. 
         Die Versöhnungsarbeit bleibt 
          eine Aufgabe, die auch nach Einstellung der Feindseligkeiten in Konfliktsituationen 
          weitergehen muss. Versöhnung setzt die Bereitschaft voraus, die 
          unverhüllte und häufig gewaltbereite Konfrontationshaltung 
          aufzugeben und sich auf einen Dialog einzulassen. Dieser Übergang 
          ist die kritischste Phase der Friedensschaffung. Aus jüngster Zeit 
          gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass die Kirchen einen wichtigen 
          Beitrag leisten können, indem sie den Weg für eine konstruktive 
          Kommunikation zwischen den Konfliktparteien frei machen. In der Phase 
          des Umbruchs in Mittel- und Osteuropa wurde das Modell des "Runden 
          Tisches" entwickelt, der alle politischen und gesellschaftlichen 
          Gruppierungen zusammenführt, um gemeinsam über die Zukunft 
          der Gesellschaft nachzudenken. In vielen Fällen sind kirchliche 
          Persönlichkeiten gebeten worden, den Vorsitz bei solchen Runden 
          Tischen zu führen. In mehreren afrikanischen Ländern haben 
          Versöhnungs-bemühungen wieder an traditionelle Formen der 
          Konsensbildung angeknüpft und an der entscheidenden Rolle, die 
          die Ältesten in Grossfamilien oder Stämmen bei der Regelung 
          von Konflikten spielen. Diese Beispiele belegen die Bemühungen, 
          konfrontative Strategien zur Konfliktbewältigung, die auf Sieg 
          und Niederlage abzielen, in kooperative Prozesse zu verwandeln, die 
          allen tatsächlichen und potentiellen Konfliktpartnern gleichberechtigte 
          Teilnahme gewähren. Die Kirchen besitzen in der alten Tradition 
          konziliarer Konfliktregelung einen Erfahrungsschatz, den es gilt, für 
          den politisch-gesellschaftlichen Bereich fruchtbar zu machen. 
         Ein aktiver und glaubwürdiger 
          Beitrag der Kirchen zu Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung setzt 
          allerdings die Bereitschaft zum Eingeständnis des eigenen Versagens 
          sowie der Mitverantwortung und Schuld voraus, wenn der Teufelskreis 
          von Feindschaft und Vorurteil durchbrochen werden soll. Dies wird um 
          so wichtiger angesichts der Tendenz, in alte Verhaltensmuster der Aufrechnung 
          historischen Unrechts zurückzufallen und die Kirchen zur Legitimation 
          von ethnisch-nationalen Machtansprüchen zu missbrauchen. Zum Glück 
          gibt es Beispiele, wo die Kirchen eine führende Rolle auf dem Weg 
          zu einer Friedenskultur gespielt haben, speziell in Südafrika, 
          aber oft genug sind die Kirchen Teil des Problems, insbesondere dort, 
          wo sie eng mit nationalen Bestrebungen verquickt sind und sich mit diesen 
          identifizieren. Wie können wir am besten ein dauerhaftes Zeugnis 
          davon ablegen, dass unsere oberste Treuepflicht gegenüber Jesus 
          Christus und dem ganzen Volk Gottes besteht, und uns dem Nationalismus 
          widersetzen, der so häufig Fremdenhass, Rassismus und vielerlei 
          Formen der Diskriminierung hervorbringt? Auch die Opfer können 
          zu Unterdrückern werden.   
      Der Aufruf zur Versöhnung ist 
        ein Ruf, der an uns alle ergeht. Wir wissen, dass Versöhnung hier 
        in Nordirland wie in so vielen Teilen der Welt, die auf dieser Tagung 
        vertreten sind, eine ungeheuer schwierige Aufgabe ist. Jesu Worte fordern 
        uns noch immer heraus, doch ist mit der Herausforderung auch die Verheissung 
        gegeben: "Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. 
        Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und 
        fürchte sich nicht" (Johannes 14, 27).
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