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PROGRAMM ZUR ÜBERWINDUNG VON GEWALT:
Hypothesen und Grundsätze

Kuratorium der Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten,
Ökumenische Mindolo-Stiftung,
Kitwe, Sambia, 25-30. Juni 1994

Arbeitshypothesen
Sowohl der einzelne Christ als auch die Kirchen sind dazu berufen, Frieden in Gerechtigkeit zu schaffen. Im Verlauf der Geschichte haben Kirchen in der ganzen Welt jedoch immer wieder sehr unterschiedlich auf Situationen und Strukturen der Ungerechtigkeit und der Gewalt reagiert. So haben einige z.B. bei Konflikten aus parteiischen Gründen eine Seite unterstützt. Andere haben aktiv oder passiv dazu beigetragen, daß Unterdrückung und Krieg fortgeführt wurden. Wieder andere haben mitangesehen, wie die religiöse Loyalität von Christen, Juden, Muslimen oder anderen religiösen Gruppen von religiösen Extremisten mobilisiert und manipuliert wurde. Einige sind in komplexe, von Ungerechtigkeit und Gewalt geprägte Zusammenhänge verstrickt worden, ohne selbst eine klare Richtung zu verfolgen. Andere Kirchen trafen die Entscheidung, sich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen - als Akt des Glaubens an Gott, der sich für die Armen und Leidenden entschieden hat. Manche legten standhaft Zeugnis ab von der Macht des Pazifismus und aktiver Gewaltlosigkeit bei ihrem Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit.

Christen müssen diese und andere Situationen in Offenheit und Demut angehen und bekennen, daß wir uns nur allzu oft Christi Auftrag entziehen, Zeugnis für Gerechtigkeit und Frieden abzulegen und einen konkreten Beitrag zu ihrer Verwirklichung zu leisten. Im Ökumenischen Rat der Kirchen erneuern wir unsere Verpflichtung, diesen Auftrag ernst zu nehmen und uns selbst und unsere Kirchen zu gegenseitiger Rechenschaft aufzufordern in unserer gemeinsamen Arbeit für die Überwindung von Gewalt, für Versöhnung und für die Schaffung von Frieden durch den Aufbau von Gemeinschaften der Gerechtigkeit. Wir halten an der Hoffnung fest, daß Gott in Treue zu seiner Verheißung des Friedens und Wohlergehens für alle Menschen steht.

Wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Strukturen, die Gewalt fördern oder hinnehmen, können verwandelt und zu Systemen umgestaltet werden, die Frieden in Gerechtigkeit fördern. Menschen, die Gewalt geschehen lassen oder an ihrer Ausübung beteiligt sind oder deren Lebensstil zu den Strukturen der Gewalt beiträgt, unter denen andere zu leiden haben, können dazu bekehrt werden, als Friedensstifter zu wirken. Menschen, die Opfer von Gewalt geworden sind, können Heilung und Ganzheit finden. Diese Aussagen beruhen in erster Linie auf unserem Glauben an die Auferstehung, die christliche Erfahrung von Leben inmitten des Todes. Sodann erwachsen sie aus der Überzeugung und der Erkenntnis, daß das Überleben der Menschheit, das seine Grundlage in der Schöpfung hat, von solchen Veränderungen und Verwandlungen abhängig ist. Frieden ist machbar. Frieden ist möglich. Frieden ist evangelische Vision und christliches Gebot.

Konflikte sind ein normaler Aspekt des Lebens in der menschlichen Gemeinschaft, eine Realität, die die meisten Menschen kennen. Aber Konflikte führen nicht notwendigerweise zu Gewalt und Krieg. Einzelne, Familien, Kirchen, Gesellschaften und die internationale Gemeinschaft müssen bestrebt sein, kreativ mit Konflikten umzugehen und zu lernen, mit Konflikten zu leben und/oder Mittel und Wege zu finden, sie beizulegen, zu schlichten oder umzuwandeln. Christen und Kirchen sollten lokale Traditionen und weltweite Kulturen fördern, zu deren Grundwerten der Dialog und die Achtung der Vielfalt gehören. Dabei handelt es sich nicht um einfache, sondern um schwierige Optionen, die oft ein zähes Ringen erfordern.

Gewalt entsteht teilweise durch Systeme und Strukturen, die Menschen der Möglichkeit berauben, unter menschenwürdigen Bedingungen zu leben. Eines dieser Systeme ist die Globalisierung, d.h. die auf dem ausschliesslichen Prinzip des weltweiten Austauschs beruhende Transnationalisierung von Kapital und Produktion. Die Globalisierung zentralisiert zunehmend Kontrolle und Macht und verlagert grundlegende wirtschaftliche, soziale und politische Entscheidungen von der lokalen und nationalen auf die globale Ebene. Darüber hinaus zwingt dieses System einzelnen und Gesellschaften in aller Welt Normen wie politisches Wachstum, Konsumdenken, Privatisierung, Individualismus und die Einteilung der Menschen in Gewinner und Verlierer auf. Diese sozusagen fernbedienten Normen verstärken und beschleunigen - im Interesse des Profits einer Minderheit - die Trennung, Isolierung und Ausgrenzung von Menschen und sind somit e

Ein weiteres System, das Gewalt verursacht, ist die militärische Konkurrenz zwischen Nationalstaaten. Das Zerstörungspotential sowohl kleiner als auch grosser Waffensysteme ist in unserem Jahrhundert so dramatisch angewachsen, dass zahlreiche Experten zu dem Schluss gekommen sind, dass alle bisherigen ethisch-moralischen Rechtfertigungen von Krieg überholt sind und nationale oder globale Sicherheit durch militärische Vorkehrungen keineswegs mehr gewährleistet werden kann. Viele der traditionellen Industriestaaten im Westen wie im Osten verfügen über eine weitverzweigte Waffen- und Rüstungsproduktion, die in den meisten Fällen weitgehend abgekoppelt ist von anerkannten und realistischen Einschätzungen der Sicherheitserfordernisse des jeweiligen Landes. Für viele der neuen Industriestaaten entsprechen Waffenproduktion und -handel keinerlei verteidigungsstrategischen Bedürfnissen, sondern sind in erster Linie ein Mittel für Wirtschaftswachstum. Die profitorientierte Produktion und der Handel mit Rüstungsgütern und Waffen sind eine der Ursachen von Krieg innerhalb und zwischen Staaten. Durch die Anhäufung von Rüstungsgütern und den Rüstungswettlauf werden Gesellschaften die Mittel entzogen, die für die Erfüllung der menschlichen Grundbedürfnisse des Menschen notwendig wären. Rüstungsforschung und -entwicklung binden Fachleute und Technologie, die infolgedessen für die Lösung akuter sozialer Probleme nicht mehr zur Verfügung stehen. Militarismus durchdringt viele Gesellschaften und führt zur Erniedrigung, Isolierung und Ausgrenzung von Menschen. Allgegenwärtige Rüstung verbunden mit der Überzeugung, militärische Macht gewährleiste nationale Sicherheit, führt zu Gewalt innerhalb und zwischen Staaten.

Gewalt entsteht auch im Herzen und im Kopf des Menschen. Seine Sündhaftigkeit spaltet Gemeinschaften - sie trennt Menschen von Menschen und Menschen von Gott. Einzelne und Gruppen sehen einander oft nur noch als Stereotypen und neigen manchmal dazu, ihre Gegner - oder ganz einfach Menschen, die anders sind - zu verteufeln.

Überall in der Welt halten Familien Prügel und Schläge für ein Mittel zur Disziplinierung. Eltern schlagen ihre Kinder und Männer ihre Frauen. Doch die unmittelbaren Verletzungen und die langfristigen psychischen und sozialen Schäden eines solchen Verhaltens - vor allem wenn Kinder grösser werden und dem Beispiel ihrer Eltern folgen - sind sehr viel grösser als der Nutzen.

Die Überwindung von Gewalt setzt voraus, dass wir uns mit diesen und weiteren Ursachen und Symptomen von Gewalt auf struktureller, individueller und intermediärer Ebene auseinandersetzen. Nur ein solcher ganzheitlicher Ansatz ist glaubwürdig, integer und vertrauensbildend.

Kirchen und andere religiöse Gemeinschaften verfügen über ein starkes und einzigartiges Mittel, eine Friedenskultur in Gerechtigkeit zu schaffen: Sie können eine Spiritualität des Lebens fördern. Sie können dazu beitragen, die innere Widerstandskraft der Menschen gegen Gewalt zu stärken, indem sie einzelnen und Gruppen Gelegenheit geben, sich zu bekennen, umzukehren, zu vergeben und sich zu versöhnen. Die Möglichkeit kirchlichen Zeugnisses für Frieden in Gerechtigkeit gründet im christlichen Verständnis von Gnade, Liebe und Erlösung.

Eine Friedenskultur in Gerechtigkeit kann zerbrochene Gemeinschaften durch den Aufbau vertrauensvoller und fürsorglicher zwischenmenschlicher Beziehungen wiederherstellen; sie schützt die Schwachen (alte Menschen, Behinderte, Kinder) und hilft ihnen, an der Fülle des Lebens teilzuhaben; sie überwindet Schranken und Grenzen, baut Brücken der Zusammenarbeit und schafft Gemeinschaften, in denen niemand ausgeschlossen ist; sie erfüllt materielle und seelische Bedürfnisse und verleiht Identität in der Gemeinschaft; sie hat für jeden Platz, der bereit ist, gemeinsam mit anderen gegen die zunehmende Welle der Gewalt in ihrer eigenen Gesellschaft und in der Welt Widerstand zu leisten; sie lehrt Kinder und Erwachsene, den Mitmenschen zu achten und Anderssein zu respektieren.

Gewaltsame Konflikte und Kriege können am ehesten von jenen beigelegt werden, die unmittelbar betroffen sind, bisweilen unterstützt von Außenstehenden, die das Vertrauen der Konfliktparteien genießen und Kontext, Kultur und geschichtliche Ursachen der Situation gut kennen. Örtliche, nationale und internationale Mechanismen für die Förderung von Verhandlungen, Vermittlung und friedlicher Beilegung von Konflikten müssen geschaffen bzw. dort, wo sie vorhanden sind, gestärkt werden.

Das Eintreten für Gerechtigkeit ist unabdingbare Voraussetzung für die Schaffung einer dauerhaften Grundlage für den Frieden. Alle Menschen haben das Recht, sich in ihrem Streben nach Gerechtigkeit, Frieden und einer bestandfähigen Umwelt der Unterdrückung zu widersetzen. Jeder Mensch hat das Recht, mitzuwirken und bei Entscheidungen, die wirtschaftliche, politische, soziale, kulturelle oder familiäre Auswirkungen auf sein Leben haben, mitzubestimmen. Jeder Mensch hat auch das Recht, sicher in seinem Heim, seiner Gemeinschaft und seinem Land zu leben, frei von jeder Gewaltandrohung. In der heutigen, von der Globalisierung der Technik, der Kommunikation und des Verkehrs geprägten Welt hängt die Sicherheit einzelner Menschen, Gruppen und Länder letzten Endes davon ab, ob Sicherheit für alle angestrebt wird.

Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Recht des Menschen, sich zu verteidigen und Widerstand gegen Unterdrückung zu leisten, und seinem Recht auf Freiheit von Gewalt. Es ist nicht leicht, diese Spannung aufzulösen. Kirchen, Gesellschaften, Bewegungen für soziale Gerechtigkeit und einzelne Christen geben sich häufig nicht genügend Mühe herauszufinden, welche Einrichtungen und Prozesse für Gewaltlosigkeit in Fragen individueller, gemeinschaftlicher und nationaler Sicherheit es bereits gibt. Damit kapitulieren sie zu schnell vor einer Mentalität, die Gewalt für ein normales und wirksames Mittel für Verteidigung oder Systemwandel hält. Die Erforschung und Umsetzung kurz- und langfristiger Strategien der Gewaltlosigkeit auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Organisation ist nur dann möglich, wenn wir wirklich engagiert, phantasievoll, entschlossen und beharrlich sind.

Arbeitsgrundsätze

Das Programm zur Überwindung von Gewalt ist bestrebt,

  • zur Förderung von Frieden in Gerechtigkeit in Familien, Kirchen und Gesellschaften sowie in den globalen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen beizutragen;
  • zur Entlegitimierung von Krieg und Gewalt beizutragen; die Überwindung von Geist, Logik und Praxis der Gewalt anzustreben; auf die Ablehnung jeglicher kirchlichen oder theologischen Rechtfertigung der Anwendung von Gewalt hinzuarbeiten;
  • die Kirchen zu ermutigen, der Auseinandersetzung mit Gewalt in ihren eigenen Gesellschaften sowie mit der Gewalt, die ihre Kulturen und Länder anderen antun, Priorität einzuräumen, indem sie sich auf Strukturen und Ursachen sowie auf spezifische Situationen konzentrieren;
  • von den konkreten Erfahrungen und Bedürfnissen der Kirchen auszugehen, die sich mit Situationen und Strukturen der Gewalt und der Ungerechtigkeit auseinandersetzen;
  • den in den Menschen, Gemeinschaften und Kirchen vorhandenen Wunsch nach Heilung und Versöhnung sowie ihre Fähigkeiten und traditionellen Methoden, Heilung und Versöhnung zu bewirken, herauszubringen und zu fördern;
  • sicherzustellen, daß alle, die am Leben der Kirche beteiligt sind (Geistliche und Laien; Gemeinden, offizielle Gremien und ökumenische Kontaktnetze; Frauen und Männer; Kinder, Jugendliche und Erwachsene), an dem Prozeß mitwirken;
  • neue Anstrengungen zu unternehmen sowie die laufende Arbeit für Frieden in Gerechtigkeit zu fördern und auszubauen, indem Netzwerke gebildet werden, in denen sich Kirchen, christliche Gruppen und andere, mit denen sie zusammenarbeiten, gegenseitig unterstützen und herausfordern können; - mit den zahlreichen vorhandenen Strukturen und Einrichtungen zusammenzuwirken, um im Interesse des Gemeinwohls Bündnisse zwischen sozialen Bewegungen, Wirtschaftsvertretern, Basisinitiativen und anderen Gruppen aufzubauen, selbst wenn manche der Beteiligten dabei in Kauf nehmen müssen, nicht mit ihresgleichen zu tun zu haben;
  • neuesteTechnologie und Kommunikationssysteme zu nutzen, einschliesslich Rundfunk, Fernsehen und Presse, Internet, audiovisuellen Techniken und Werbung, sowie auch Geschichten erzählen, Predigen, etc.;
  • diejenigen zu unterstützen, die Polizei- und Verteidigungsstrategien entwickeln wollen, die nicht auf Gewaltanwendung, sondern auf den Grundsätzen aktiver Gewaltlosigkeit beruhen;
  • Bildungseinrichtungen und andere Lernprozesse zu nutzen, um Kindern wie Erwachsenen zu helfen, konstruktiv mit Konflikten umzugehen, indem sie Methoden des Konfliktmanagements entwickeln oder Wege finden, wie Konflikte beizulegen oder umzuwandeln sind und wie Versöhnung in die Wege geleitet werden kann;
  • gemeinsames Engagement durch sichtbare öffentlichkeits-wirksame Aktionen zum Ausdruck zu bringen;
  • die Kirchen im Rahmen entsprechender Ausbildungsprogramme besser auszurüsten für die Beilegung gewaltsamer Konflikte sowie für den Umgang mit und die Vermittlung in Streitfällen, die Gefahr laufen zu eskalieren;
  • Situationsanalysen und Vermittlungsversuche des ÖRK oder anderer geeigneter Organisationen in Situationen, wo Kirchen mit schweren Krisen, drohender Gewalt oder Krieg konfrontiert sind, zu unterstützen oder zu erleichtern.