Ökumenischer Rat der Kirchen Kommunikationsabteilung
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ZENTRALAUSSCHUSS
29. Januar - 6. Februar 2001
Potsdam, Deutschland

29. Januar 2001

"Ökumenischer Raum" - "neue Inspiration für das
Kirchensein in konziliarer Gemeinschaft"
ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser legt seinen Bericht vor


Als folgerichtig und zwingend hat der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Konrad Raiser, die Entscheidung bezeichnet, die Zentralausschusssitzung in Potsdam und Berlin abzuhalten. Die wiedervereinigte Hauptstadt Deutschlands sei "nicht länger ein Symbol der Teilung, sondern des beginnenden Prozesses der Versöhnung in Europa", erklärte Raiser am ersten Sitzungstag vor dem 158 köpfigen Zentralausschuss am Montag, 29. Januar 2001, in Potsdam. Der Generalsekretär hob besonders auf die Rolle der Kirchen während der Zeiten des Kalten Krieges ab: "Die Verbindung des ÖRK mit den Kirchen in den beiden deutschen Staaten wurde zum Testfall für die Entschlossenheit der ökumenischen Bewegung, die konfrontative Grundhaltung des Kalten Krieges zu überwinden und Brücken zu bauen."

Es gehe heute darum, so Raiser, die geschichtlichen Erfahrungen und gegenwärtigen Antworten von Christen in Europa herauszustellen. Für die Aufarbeitung der geschichtlichen Erfahrungen der vergangenen Jahre könnte die Einrichtung von Wahrheitskommissionen, wie etwa in Südafrika, Chile, Guatemala oder El Salvador, Vorbildcharakter haben.

Die Suche nach Wahrheit und die Bemühung um die Versöhnung der Erinnerungen, sei, so Raiser, auch keine rein "intellektuelle Übung", sondern "notwendig, um eine tragfähige Basis für das Zusammenleben wiederherzustellen". Raiser bedauerte, dass bei dem enormen Tempo der politischen und wirtschaftlichen Wiedervereinigung, die kirchliche Verständigung zurückgeblieben sei: "Die unmittelbare Aufgabe, die politischen wirtschaftlichen und strukturellen Veränderungen nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft in Mittel- und Osteuropa zu verarbeiten, hat wenig Zeit und Raum gelassen, um auf die unterschiedlichen Erinnerungen und Formen christlichen Zeugnisses in einem geteilten Europa zu hören und einzugehen".

Als dringlichste Aufgabe für den ÖRK bezeichnete der Generalsekretär die Qualifizierung der Kirchengemeinschaft: "Die Bestimmung des ÖRK als einer "Gemeinschaft von Kirchen' bleibt in der Tat so lange schwach, als sie nicht getragen wird von einer Praxis wirklicher Gemeinschaft zwischen den Mitgliedskirchen "an jedem Ort'".

Eine besonders geglückte Initiative der jüngsten Zeit nannte Raiser die Gründung der "Allianz für ökumenische Anwaltschaft". Durch die Festlegung auf zwei zentrale Themen wie den Welthandel und die wirtschaftliche Gerechtigkeit, sowie Ethik des Lebens und HIV/AIDS werde es in den nächsten Jahren gelingen, "die prophetische Stimme und das Einwirken ökumenischen Zeugnisses auf die entscheidenden gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Fragen der Gegenwart zu verstärken durch die Zusammenfassung der Mittel und Erfahrungen der Partnerorganisationen in der ökumenischen Bewegung".

Raiser gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass diese Allianz "zu einem neuen Modell ökumenischer Kooperation und zu einer Quelle neuer Inspiration und Ermutigung werden" könne, um so zu zeigen, dass die ökumenische Bewegung in der Lage sei, "eine Alternative zum Prozess der Globalisierung zu entwickeln, die auf Solidarität und Kooperation beruht, statt auf Wettbewerb und Konfrontation."

Ausführlich ging der Generalsekretär von 337 Kirchen weltweit auf die Verbindlichkeit der Mitgliedschaft im ÖRK ein. Zwar hätten die meisten Mitgliedskirchen "keine grundlegende Schwierigkeit damit, einander als Kirchen anzuerkennen, aber ihre Wertschätzung der denominationellen Autonomie und/oder konfessionellen Integrität steht in Spannung zur Grundüberzeugung von der Katholizität der Kirche." Besonders deutlich werde dies auch im Verhältnis zur römisch katholischen und russisch-orthodoxen Kirche, so Raiser: "Auf der einen Seite die anspruchsvolle katholische und orthodoxe Ekklesiologie und andererseits die Situation eines Pluralismus von Denominationen unter den protestantischen Kirchen".

Beide, die Russische Orthodoxe Kirche und die Römisch-katholische Kirche, erklärte der Generalsekretär, würden für sich in Anspruch nehmen, "die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche" zu sein, wie sie "von unserem Herrn und Heiland selbst begründet wurde. Beide erklären sie, dass sie in Treue zur apostolischen Tradition nicht in der Lage sind, in anderen Kirchen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche anzuerkennen, obwohl sie die Wiederherstellung der Einheit der Kirche als eine sich aus dem Evangelium ergebende Verpflichtung verstehen".

Raiser ging in seinem Bericht auch auf die Arbeit der Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ÖRK und ihre kritische Analyse der Arbeitsweisen und des Ethos des Ökumenischen Rates ein. Der Zwischenbericht dieser Sonderkommission formuliere im Abschnitt über "Ekklesiologie" ein "Verständnis des Kirchenseins in konziliarer Gemeinschaft". Gleichzeitig stelle der Zwischenbericht aber auch die Frage, ob es in der orthodoxen Ekklesiologie Raum für andere Kirchen gebe. Laut Raiser ist dies genau die ekklesiologische Herausforderung, welche die Existenz des ÖRK als einer Gemeinschaft von Kirchen den Mitgliedskirchen" zumute: "Hat die Gemeinschaft von Kirchen in diesem Rat irgendeine Bedeutung über den praktischen Wert der Förderung von Zusammenarbeit hinaus?"

Als zukünftige Gestalt für den ÖRK entwerfe der Zwischenbericht der Sonderkommission die Vision eines Rates, "der die Kirchen in einem ökumenischen Raum zusammenführt, in dem Vertrauen aufgebaut werden kann, in dem Kirchen ihr Verständnis von der Welt, von ihren eigenen sozialen Verhaltensweisen und von ihren liturgischen und lehrmässigen Traditionen prüfen und entwickeln können und einander gleichzeitig als Gegenüber sehen und ihre Begegnung miteinander vertiefen".

Dies entspreche der Vision eines "ökumenischen Raumes", eines sicheren, heiligen und geistlichen sowie eines dauerhaften Raumes, in dem angstfrei und offen miteinander geredet werden könne. Ein Raum, der offene Diskussion ermöglicht, "wo alle gehört werden und wo die Suche nach Einverständnis stattfinden kann ohne den Druck, eine Auseinandersetzung oder eine Abstimmung gewinnen zu müssen". Zugleich solle es auch ein heiliger und geistlicher Raum sein, "der durch gemeinsames Gebet und Gottesdienst immer neu begründet und zugleich geschützt wird". Wenn diese Vision umgesetzt werden könne, so Raiser, dann gebe das nicht nur dem ÖRK neue Kraft, sondern vermittle auch "neue Inspiration für das Kirchensein in konziliarer Gemeinschaft".

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Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) ist eine Gemeinschaft von 337 Kirchen in über 100 Ländern auf allen Kontinenten und aus praktisch allen christlichen Traditionen. Die römisch-katholische Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ÖRK zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die ungefähr alle sieben Jahre zussammentritt. Der ÖRK wurde 1948 in Amsterdam (Niederlande) offiziell gegründet. An der Spitze der Mitarbeiterschaft steht Generalsekretär Konrad Raiser von der Evangelischen Kirche in Deutschland.