Oekumenischer Rat der Kirchen

Vorbereitungsmaterialien der
Achte Vollversammlung & Fünfzigjähriges
Bestehen des ÖRK

HEARING ZU EINHEIT IV:
TEILEN UND DIENST

Kommentierte Tagesordnung

Sitzung I
1. Begrüssung und Vorstellung
2. Erläuterung der Funktionsweise der Hearings
3. Ein Videofilm zeigt die wichtigsten Aktivitäten und Erfolge der Einheit in den vergangenen sieben Jahren:
  • die Strategie für das Erlassjahr als Triebkraft und Schwerpunkt;
  • die vier Mandate innerhalb der Erlassjahrstrategie, nach denen die Arbeit aller Teams der Einheit gestaltet wurde;
  • die Erlassjahr-Zielgruppen: an den Rand gedrängte und ausgegrenzte Menschen.

Die Filmtexte sind wörtlich zitiert aus dem Auswertungsbericht "Commitment to Jubilee: Strategies for Hope in Times of Crisis" (Das Erlassjahr-Konzept: Strategien der Hoffnung in Zeiten der Krise), auf den sich sowohl das vorliegende Arbeitsbuch als auch Von Canberra nach Harare stützt. Der vollständige Bericht steht den Hearings-Teilnehmern/innen in Harare zur Verfügung. Die für eine Auswertung der Arbeit wichtigsten Fragen werden von den Teilnehmern/innen des Hearings selbst erwartet.

Sitzung II
In dieser Sitzung werden ausgewählte Schwerpunkte und Erfolge, die sich aus der ersten Sitzung ergeben haben, erläutert, um den Delegierten zu helfen, ausgehend von dem Videofilm und anhand einer Reihe von gezielten Fragen die Arbeit dieser Jahre kritisch zu bewerten und zu kommentieren.

Insbesondere sollen folgende Themen angesprochen werden:

  • gerechtes Teilen: die Erfahrungen mit dem asiatischen Runden Tisch
  • Förderung von Selbstbestimmung am Beispiel des Ausbaus der Kapazitäten in Afrika
  • praktische Solidarität mit Kindern: Erfahrungen aus Lateinamerika
  • regionale Fürsprache für Menschenwürde und Ressourcen: Erfahrungen aus dem Pazifik
  • Referat für Flüchtlingsarbeit und Migration: Entwicklung einer Theologie und Arbeitsmethode für die Kirche des Fremden, weltweite Netzwerkarbeit und Fürsprache, lokale Aktivitäten von und mit Flüchtlingen und Migranten/innen.

Sitzung III
Ein Blick auf die Zukunft: Welche Lehren können wir aus den vergangenen Jahren für die Zukunft ziehen? Welche Neuorientierungen ergeben sich aus diesem Bericht? Inwieweit finden diese Anliegen in der neuen Vision und dem neuen Profil des Rates Ausdruck? Mitglieder des Ausschusses für Programmrichtlinien werden sich zu Beginn der Sitzung zu diesen Fragen äussern; anschliessend werden die Teilnehmer/innen eingeladen, sich an der Aussprache zu beteiligen.


BERICHT ÜBER TEILEN UND DIENST

Rückblick auf die Geschichte
Seit der Gründung des ÖRK hat die ökumenische Familie der Hilfe für Menschen in Not durch praktische Solidarität einen besonderen Stellenwert beigemessen. Die ÖRK-Kommission für zwischenkirchliche Hilfe, Flüchtlings- und Weltdienst (CICARWS), die Vorgängerin der Einheit IV, hat ein bedeutendes Erbe weitergegeben: es fordert die Kirchen auf, sich ihre prophetische diakonische Rolle am Ort und weltweit wieder zu eigen zu machen. Der vorliegende Text geht auf die Arbeit der Einheit IV in den letzten sieben Jahren und auf die Frage ein, wie die Kirchen auf die genannte Forderung reagiert haben. In diesen Jahren hat sich die Welt - und mit ihr die diakonische Arbeit - dramatisch verändert. Doch diese Veränderungen setzten nicht unvermittelt 1991 ein. Ihre Wurzeln reichen tief in die Vergangenheit zurück.

Uppsala 1968
Die ÖRK-Vollversammlung in Uppsala entwickelte und verkörperte zwei einander widersprechende Entwicklungsansätze. Einerseits erklärte sie, Gesellschaften könnten sich anpassen und versuchen, die Armut abzuschaffen, indem sie die Vorteile des westlichen Kapitalismus in der ganzen Welt nutzten und reproduzierten. Andererseits meinte sie, durch revolutionäre Veränderungen könne die Befreiung der Unterdrückten in Gang gesetzt werden.

Es sollte sich zeigen, dass der erste Ansatz von Paternalismus und kolonialistischer Arroganz durchsetzt und Ausdruck eines mangelnden Verständnisses der ökonomischen und ökologischen Probleme war. Der zweite Ansatz stellte mit seiner Forderung nach Abschaffung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die Armut und Ungerechtigkeit verursachen, eine massive Herausforderung dar. Beide Ansätze haben nach Uppsala unterschiedliche Ausdrucksformen gefunden und beeinflussen auch heute noch den Gang der Dinge. Vereinfacht lassen sie sich mit folgenden Gegensatzpaaren beschreiben: Wohltätigkeit-Veränderung; Status quo- Revolution oder Reform; herkömmliches-neues Wirtschaftssystem; Elitenherrschaft- Demokratie; Unternehmensmacht-Gemeinschaftsstrukturen; Konkurrenz-Zusammen-arbeit; Rechte-Linke.

Larnaca 1986
Durch die Formulierung dieser beiden Ansätze half Uppsala den Kirchen, über die engstirnige paternalistische Sichtweise hinauszugehen und den Status quo in Frage zu stellen. Dies bedeutete, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und sich mit den übergreifenden Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Fast zwanzig Jahre später organisierte CICARWS 1986 in Larnaca auf Zypern eine internationale Konsultation mit dem Titel "Diakonie 2000 - Nächste werden", die einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit einleiten sollte.

Vor Larnaca hatte sich CICARWS bemüht, die Reflexion über Gerechtigkeit, ihren Zusammenhang mit Dienst und Diakonie sowie das Verhältnis zwischen lokalen und globalen Realitäten zu fördern. In Larnaca wurden sich die Kirchen gemeinsam der Notwendigkeit einer umfassenderen und befreienden Diakonie (im Sinne christlichen Dienstes) bewusst, deren Ziel Wandel und Veränderung auf allen Ebenen sein sollte. In der Folge begann die Einheit, proaktiver zu handeln, indem sie Kirchen und kirchlichen Gruppen half, über die Ursachen der Probleme nachzudenken und Methoden zu finden, die es ihnen erlaubten, umfassender auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Es wurde beschlossen, bei Tagungen der Regionalgruppen weniger Zeit mit der Auflistung und Auswahl von Projektfinanzierungen zu verbringen und dafür der Analyse und Reflexion mehr Zeit zu widmen. Infolgedessen schränkte CICARWS seine Projektarbeit ein, stellte aber weiterhin seine Liste von Prioritätsprojekten auf, um ganz konkret auf die Prioritäten und Herausforderungen der ökumenischen Bewegung reagieren zu können.

Seinem Mandat zufolge sollte CICARWS "den Kirchen helfen, ihrer Solidarität durch den Austausch personeller, materieller und spiritueller Ressourcen Ausdruck zu verleihen, diesen Austausch zu erleichtern und damit einen Beitrag zu leisten zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und menschlicher Entwicklung und zur Unterstützung der Linderung menschlicher Not". In Larnaca wurde CICARWS angewiesen,

  • alle einzubeziehen (auch Frauen, junge Menschen und Kinder);
  • Verantwortung zu teilen und Rechenschaftspflicht zu üben;
  • Menschen zu helfen, ihr Leben selbst zu bestimmen;
  • Menschen in ihrem Ringen zur Seite zu stehen;
  • überall dort zu helfen, wo es notwendig ist;
  • sich für die Veränderung ungerechter Strukturen (der Ursachen von Ungerechtigkeit) einzusetzen;
  • Partnerschaften einzugehen, die auf gegenseitiger Achtung beruhen;
  • Menschen zu befähigen, ihre eigene Geschichte zu erzählen und Informationen auszutauschen;
    ... "und deshalb die Ortskirchen zu befähigen, ihr Potential zu nutzen, um im Leben von Menschen und Gemeinschaften positive Veränderungen zu bewirken".

Larnaca erweiterte das Diakonieverständnis dahingehend, dass es nun auch Formen der Hilfe umfassen sollte, die über die rein materielle hinausgehen. Es ist zwar nach wie vor notwendig, Geld und andere verfügbare Hilfsmittel gerecht unter den Notleidenden zu verteilen, doch die neue Diakonie sollte - neben dieser immer noch wichtigen Umverteilung - umfassender und ganzheitlicher wirken, indem sie auch auf andere und manchmal weniger augenscheinliche Bedürfnisse einging. Sie sollte sich zwar auf die Menschen im lokalen Bereich konzentrieren, dabei aber nicht die globalen Zusammenhänge aus den Augen verlieren. Sie sollte Ungerechtigkeit aufzeigen und neue Modelle des Miteinanderteilens verkörpern: sie sollte prophetischer werden. Sie sollte solidarisch auf alle Ausgegrenzten zugehen. Sie sollte in erster Linie auf der Ortsebene als Hauptträgerin des neuen Diakoniekonzepts praktiziert werden.

El Escorial 1987
Im Jahr nach Larnaca fand in El Escorial (Spanien) eine andere ÖRK-Weltkonsultation statt. Unter dem Thema "Koinonia: Geteiltes Leben in weltweiter Gemeinschaft" befasste sie sich mit dem Teilen von Ressourcen und stellte Richtlinien für eine "ökumenische Disziplin" des Miteinanderteilens auf. Die Teilnehmer/innen verpflichteten sich,

  • sich an einem vollkommen neuen Wertsystem zu orientieren;
  • die Ausgegrenzten als gleichberechtigte Partner anzuerkennen;
  • sich mit den Armen und Unterdrückten und deren Organisationen zu identifizieren;
  • die Ursachen und Strukturen der Ungerechtigkeit aufzuzeigen und in Frage zu stellen;
  • Menschen zu helfen, ... sich ihrer Möglichkeiten bewusst zu werden;
  • zur gegenseitigen Rechenschaftspflicht und Korrektur bereit zu sein;
  • gleichberechtigte Beziehungen zu unterhalten;
  • den ganzheitlichen Auftrag der Kirche voranzubringen;
  • alle Schranken zwischen Religionen und Weltanschauungen zu überwinden;
  • sich den Aktivitäten internationaler Einrichtungen, die Völker ... berauben, zu widersetzen;
  • Macht zu verlagern, um denjenigen Priorität zu geben, denen Güter und Macht unrechtmässig vorenthalten werden;
  • Dialog und Partizipation zu fördern und zu intensivieren;
  • ökumenisches Teilen zu fördern und auszubauen.

Ebenso wie Larnaca betonte auch El Escorial den ganzheitlichen Auftrag der Kirche und erklärte, die Trennung der spirituellen von den materiellen Bedürfnissen sei unnatürlich. Von nun an solle das Teilen der Ressourcen zwischen Nord und Süd auf Gegenseitigkeit beruhen und damit auf den ganzen Menschen in Gemeinschaft eingehen.

Von Evian nach Alexandria 1992-1995
Zur Zeit der ersten Kommissionstagung der Einheit IV 1992 in Evian (Frankreich) wurde immer deutlicher, wie grundlegend sich die Welt veränderte. Wenn Einheit IV sinnvoll auf die Bedürfnisse der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften eingehen wollte, dann musste sie diesen Wandel prophetisch interpretieren. Die Welt erlebte offenbar eine so unerwartete und tiefgreifende Krise wie nie zuvor. Um möglichst schnell darauf reagieren zu können, musste die Einheit besser auf eine solche Situation vorbereitet sein. Doch wie sollte sie mit ihren begrenzten Mitteln schnell und flexibel reagieren?

Die Kommission äusserte auf ihrer Tagung in Evian einige ehrliche Selbstzweifel. Als weltweit dringendste Aufgabe bezeichnete sie es, die Menschen zu befähigen, sich gegen Leid und Unrecht zur Wehr zu setzen. Doch bei so zahlreichen massiven Problemen war es extrem schwierig, auch nur einige von ihnen anzugehen. Die Prioritätensetzung leide unter einem Mangel an Deutlichkeit, denn "die Welt, in der wir tätig sind, hat ihre Eindeutigkeit verloren". Das gleiche galt manchmal auch für die Modelle des Teilens und des Dienstes, mit denen die Einheit gearbeitet hat.

Um dem abzuhelfen, wurde versucht, zusammen mit den Mitgliedskirchen einen gemeinsamen Aktions-Reflexionsprozess über Diakonie einzuleiten, in dessen Rahmen Leitlinien zur Klärung unseres heutigen Diakonieverständnisses aufgestellt werden sollten. 1994 wurden dem Zentralausschuss elf Leitlinien unterbreitet, die den Kirchen zwecks Studium und Reflexion empfohlen wurden und denen zufolge Diakonie

a. die am meisten Benachteiligten an die erste Stelle setzt;

b. auf Gegenseitigkeit achtet - d.h. dass diejenigen, die den Bedürftigen dienen, ihr eigenes Bedürfnis, zu empfangen, sowie die Fähigkeit der Armen, zu geben, akzeptieren;

c. mit jenen handelt, denen sie dienen will, und nicht für sie oder über ihren Kopf hinweg;

d. das eigene Urteil der Bedürftigen im Blick auf ihre Bedürfnisse und die Art und Weise, wie sie am besten erfüllt werden können, respektiert;

e. die Macht der Armen stärkt, damit sie kontrollieren können, was mit ihnen geschieht;

f. auf unmittelbare Bedürfnisse eingeht bei gleichzeitiger Hinterfragung, Bekämpfung und Umwandlung der Systeme, die sie schaffen und verschlimmern;

g. die Ressourcen teilt, die uns der Fülle des Lebens näherbringen;

h. Treue bewahrt und sich weigert, die Armen im Stich zu lassen - auch wenn Schwierigkeiten auftreten;

i. die unausweichlichen Kosten sowie den Gewinn klar vor Augen hat;

j. jenen Rechenschaft ablegt, denen sie dient;

k. dem Mitgefühl keine Grenzen setzt.

Anschliessend wurden diese Leitlinien von weiblichen Kommissionsmitgliedern diskutiert. Diese vertraten in ihrem Bericht mit dem Titel "Mitgefühl ohne Grenzen?" die Auffassung, dass die Leitlinien nicht genügend auf die weibliche Wahrnehmung und Arbeitsweise - die gesprächs- und gemeinschaftsorientierter ist - eingingen; auch die Sprache und der Ton seien herablassend und damit ein Abbild gerade jener Diskriminierung, zu deren Abschaffung Larnaca aufgerufen habe. Im Sinne der Gleichstellung der Geschlechter schrieb die Gruppe die Leitlinien wie folgt um:

a. Diakonie überwindet die Unterordnung von Menschen.

b. Diakonie beruht auf Gegenseitigkeit, denn sie ist Ausdruck unserer gemeinsamen und vielfältigen Bedürfnisse.

c. Diakonie veranlasst uns, einen Weg zu schaffen, den wir gemeinsam gehen können.

d. Diakonie macht Menschen fähig und würdig, sich zu erkennen und auszudrücken.

e. Diakonie anerkennt das von Gott gegebene Recht jeder Gemeinschaft auf Selbstbestimmung.

f. Diakonie stellt durch unmittelbares und langfristiges Handeln Ungerechtigkeit ganzheitlich in Frage.

g. Diakonie bewahrt und teilt die lebenserhaltenden Ressourcen.

h. Diakonie nährt und erhält Gemeinschaften, die marginalisiert und ausgegrenzt sind.

i. Diakonie schreckt nicht vor den unvermeidlichen Risiken zurück, die damit verbunden sind, Gemeinschaften dadurch wiederherzustellen, dass man sie lehrt, zu geben und zu empfangen, zu fordern und nachzugeben.

j. Diakonie gibt uns den Mut, uns der Widersprüche zwischen dem, was wir glauben, sagen und tun, bewusst zu sein, und sie fordert uns zu grösserer Integrität heraus.

k. Diakonie bringt Gottes unbegrenztes Mitgefühl zum Ausdruck, ohne der Würde der Dienenden Abbruch zu tun.

Die nächste Kommissionstagung 1993 in Bangkok (Thailand) war von zentraler Bedeutung, da hier alle Analysen, Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen der vergangenen Jahre zusammenliefen. Sie befürwortete die Regionalisierung der Arbeit und der Organisation der Einheit und gab ihr neue Impulse. Sie erörterte die spezifischen Probleme von Frauen und jungen Menschen sowie Lösungsansätze. Und sie erwähnte erstmals das Erlassjahr: "Der Begriff des Erlassjahrs enthält die alten Werte und das Ethos der israelischen Dorfgemeinschaften und zugleich Bestimmungen, die die Entwicklung ... ungerechter asymmetrischer Strukturen verhindern sollen".

Auf der Kommissionstagung 1995 in Alexandria (Ägypten) wurde ein "Strategie für das Erlassjahr, 1995-1998" erörtert und angenommen. Der Stab arbeitete bereits nach diesem Plan, der der Einheit eine Grundsatzerklärung und einen integrativen Rahmen für ihre Tätigkeit bieten sollte. Der Plan stellte den Versuch dar, die Grundsätze des biblischen Erlassjahrs auf die heutige Welt anzuwenden. Er bot eine Neudefinition der vier grundlegenden Aufgaben der Einheit und legte fest, welches die fünf wichtigsten Erlassjahr-Zielgruppen mit Priorität bei praktischen Solidaritätsaktionen sein sollten:

1. die Bedürfnisse und Rechte der Kinder;
2. die Bedürfnisse und Rechte der Frauen, die marginalisiert und ausgegrenzt werden;
3. die Bedürfnisse und Rechte der wirtschaftlich und politisch Marginalisierten;
4. die Bedürfnisse und Rechte der entwurzelten Menschen;
5. die Bedürfnisse und Rechte der Menschen in Konfliktsituationen und Katastrophen.

STRATEGIE FÜR DAS ERLASSJAHR 1995-1998

Das Mandat
Das ÖRK-Programm Teilen und Dienst unterstützt die Mitgliedskirchen und ökumenischen Einrichtungen und Organisationen bei ihren Bemühungen um die Förderung der Menschenwürde und bestandfähiger Gemeinschaft mit den Marginalisierten und Ausgegrenzten, indem sie

1. sich gemeinsam mit den Marginalisierten und Ausgegrenzten durch die Entwicklung alternativer Modelle internationaler Zusammenarbeit und ein besseres Verständnis der für die Entstehung bestandfähiger Gemeinschaften notwendigen vielfältigen Ressourcen (wirtschaftlicher, ökologischer, gesellschaftlicher, kultureller und spiritueller Art) für ein gerechteres Teilen der Ressourcen einsetzt;

2. praktische Solidarität fördert, die inmitten wachsender Armut, Vertreibung und Ausgrenzung auf lokaler und regionaler Ebene unser Engagement für ein gerechteres Teilen der Ressourcen zeigt;

3. den Ausbau von Kapazitäten und die Stärkung von Gemeinschaften fördert, damit diese ihre eigenen Möglichkeiten und Ressourcen wiederentdecken und weiterentwickeln und damit die Menschenwürde von einzelnen und Gemeinschaften sowie deren Recht auf Selbstbestimmung respektiert werden;

4. die Netzwerkarbeit mit und die Fürsprache für Entwurzelte, Randgruppen und Gemeinschaften, die von Konflikten oder Katastrophen betroffen sind, fördert und hierbei dafür sorgt, dass diese die Möglichkeit haben, auf allen Ebenen (örtliche, Landes- und internationale Ebene) zu Wort zu kommen.

Seit Jahrzehnten wird an einer Definition des Teilens gearbeitet. Es geht nicht mehr nur um die Frage, wer in der Ökumene bzw. im Entwicklungsbereich was mit wem teilt, sondern es geht angesichts der Tatsache, dass strukturelle Ungleichheiten zwischen Völkern und Regionen allen Bemühungen um ihre Abschaffung zum Trotz hartnäckig widerstehen, auch um neue Formen des Teilens.

Sithembiso Nyoni aus Simbabwe unterstrich 1987 in El Escorial die Notwendigkeit, Ressourcen ganzheitlich zu sehen, damit "wir zuerst miteinander teilen, wer wir sind, und erst dann, was wir haben". Das macht das Teilen sehr viel umfassender und zugleich sehr viel schwieriger umzusetzen. Wenn man nur Geld teilen will, dann ist schnell geklärt, wer was mit wem teilt: der reiche Norden stellt dem armen Süden Geld zur Verfügung.

Wie aber teilen wir mit anderen, wer wir sind? Zunächst einmal steht fest, dass jeder von uns etwas mit anderen Menschen teilt, denn jeder ist ja jemand. Teilen wird ein dynamischer Prozess, bei dem Geld eine Rolle spielen kann, aber nicht muss. Sodann steht fest, dass wir zu Beginn des Teilens relativ gleichberechtigt sind: wenn alle teilen, dann haben alle etwas zu geben, zu empfangen und zu lernen.

Auf der Kommissionstagung in Bangkok war in diesem Zusammenhang die Rede von "symbolischem und kulturellem Widerstand". Dies ist ein vielversprechendes Konzept, das zahlreiche Möglichkeiten eröffnet. Mit diesem Widerstand sind teilweise die Überzeugungen und Praktiken armer und marginalisierter Gruppen gemeint, die sich gegen ihre Unterdrücker zu wehren versuchen. Wir werden sehen, dass die Ideen und Aktivitäten, die solche Gruppen für diesen Widerstand entwickeln, ausgesprochen kreativ sind: sie stellen einen Grossteil der Hoffnung dar, die wir alle in die Zukunft setzen. Wenn wir diese Ausdrucksformen als Mittel für Veränderungen betrachten, dann zeigt sich, dass sie sehr geeignet für das Teilen sind. Es kommt hinzu, dass dieses Teilen sich besonders für das Teilen zwischen solchen Gemeinschaften eignet, also von Süd zu Süd.

Auf diese und andere Weise wird das Teilen zu einer Umverteilung nicht nur von materiellem Reichtum, sondern auch von geistigen und geistlichen Ressourcen und von Chancen. Hier befinden wir uns jenseits der vereinfachenden Definition von Entwicklung als rein ökonomischer Angelegenheit; hier hat das ganze Leben mit allen seinen Aspekte einen Wert.

Neben der ökumenischen Reflexion über den Sinn von Solidarität und Dienst durch gerechtes und faires Teilen unserer Ressourcen förderte die Einheit Untersuchungen und Auswertungen praktischen Handelns. Die Untersuchung über "Motivation und Auswirkungen der Konzentrationspolitik" ist eine detaillierte Analyse der Veränderungen in der Entwicklungszusammenarbeit ökumenischer Partner. Diese Studie und die diesbezüglichen Diskussionen lassen das Bestreben erkennen, das künftige ökumenische System des Teilens von Ressourcen kohärent und bestandfähig zu gestalten. Die Veränderungen im geopolitischen Kontext staatlicher Entwicklungspolitiken haben erhebliche Auswirkungen auf die Möglichkeiten und Grenzen internationaler ökumenischer Entwicklungshilfe. Das neue effizienzbetonte Denken verändert den Tenor der Diskussionen ebenso wie die neuen Kriterien für Wirkung und Erfolg. All dies deutet auf einen Kairos hin, den rechten Zeitpunkt, zu dem wir gemeinsam darüber nachdenken, wie das gemeinsame Verständnis und die gemeinsame Vision der ökumenischen Bewegung unser Miteinanderteilen und unsere Zusammenarbeit um der Menschenwürde und der bestandfähigen Gemeinschaft unter den Marginalisierten und Ausgegrenzten willen beeinflussen kann und wird.

Strukturen für das Teilen
Die von Einheit IV eingeleitete Regionalisierung entspricht der Notwendigkeit, Verantwortung und Macht abzugeben. Die sechs wichtigsten Strukturen für diese Art des Teilens in der Einheit IV sind die Regionalgruppen, die Runden Tische, das Referat für Flüchtlingsarbeit und Migration, das Stipendienprogramm, Nothilfe (ACT) und Darlehen (ECLOF).

1. Regionalgruppen. Die Regionalgruppen (RG) wurden 1972 von CICARWS gebildet, um die Bedürfnisse der Kirchen zu ermitteln und Prioritäten für die ökumenische Arbeit zu setzen. Eine ihrer Hauptaufgaben war die Prüfung spezifischer Projekte, die Kirchen und ökumenische Hilfswerke zwecks Finanzierung eingereicht hatten. Im Anschluss an Larnaca und El Escorial jedoch nahmen sie diese Aufgabe immer weniger wahr und begannen stattdessen, die Situation - auch die ökumenische Situation - in jeder Region eingehend zu analysieren und sodann zu empfehlen, wo ökumenische Prioritäten gesetzt und wie und von wem die Mittel geteilt werden sollten. Dazu mussten sie so glaubwürdig und inklusiv wie möglich sein. Gegenwärtig setzen sich die RG aus Vertretern/innen von Kirchen in der Region, Hilfswerken aus dem Norden, der Einheit IV sowie ökumenischen Netzwerken und Bewegungen und auch ökumenischen Regionalorganisationen zusammen. Die RG sind bestrebt, auch Angehörige der Erlassjahr-Zielgruppen - insbesondere Frauen, junge Menschen und Randgruppen - als Mitglieder aufzunehmen. Nichtkirchliche Bewegungen können ebenso vertreten sein wie Fachleute einzelner Gebiete. Die RG erfüllen mehrere wichtige Funktionen; sie sollen

  • Politik und Gesellschaft in ihrer Region analysieren und eine theologische Grundlage für die Diakonie erarbeiten;
  • Richtlinien und Prioritäten für das Handeln festlegen;
  • die Kirchen der Region und die Einheit IV in Grundsatz- und Programmfragen beraten;
  • tätig werden z.B. in Form von Prioritätsprojekten, die für die Auseinandersetzung mit regionalen Problemen Modellfunktion erhalten können.

Die Regionalgruppen haben sich ferner bemüht, ihre Arbeit besser zu vermitteln und den Informationsaustausch zwischen den Regionen zu fördern.

2. Runde Tische. Die vom ÖRK finanzierten Runden Tische (RT) wurden als Instrument des ökumenischen Miteinanderteilens von Ressourcen unter kirchlichen Partnern eingesetzt, als die Unzufriedenheit mit dem für Entwicklungsarbeit und Finanzierung konzipierten Projektansatz wuchs. Die Projekte waren meist zu kurzfristig, zu unsystematisch, zu wenig koordiniert und finanziell nicht genügend abgesichert. Durch die Einführung der RT und nationaler Gesprächskreise sowie die Ausarbeitung von Grundsatzpapieren sollten die Programme zunehmend in eine strategische Planung eingebaut werden. Die ÖRK-Regionalreferate sind ausserordentlich gut plaziert, um dabei Hilfestellung zu leisten und den Kirchen zu helfen, ihre ökumenischen Programme durchzuführen.

Den RT gehören aus dem Norden und dem Süden kommende Vertreter/innen von nationalen Kirchenräten (NCCs), finanzierenden Stellen, Missionswerken und des ÖRK an. Zu Beginn erörterten sie Programme und entschieden dann über die Finanzierung.

Wenn sich die RT zu sehr auf Geldangelegenheiten und NCC-Prioritäten (anstatt auf die Prioritäten der von den NCC vertretenen Kirchen) konzentrieren, dann widerspricht das ihrer erklärten Absicht, ganzheitlich vorzugehen. Seit der operationelle Ansatz in den Hintergrund getreten ist und die RT vorwiegend koordinieren und fördern, sind sie zu einem wirksamen und von allen Beteiligten sehr geschätzten Forum geworden.

3. Miteinanderteilen im Referat für Flüchtlingsarbeit und Migration (RMS). In den vergangenen sieben Jahren ist zusammen mit der Mitgliedschaft des ÖRK-Referats für Flüchtlingsarbeit und Migration ein systematischer Prozess für das Teilen von Ressourcen entwickelt worden. Seine Grundlage ist die Koordinierung von Arbeitsgrundsätzen, Programmarbeit und dem Miteinanderteilen. Die bestehenden regionalen Arbeitsgruppen aus Kirchenvertretern/innen und Sachverständigen wurden verstärkt und neue Gruppen gebildet. Die Gruppen sind nun in praktisch allen Regionen dabei, Analysen anzufertigen und Prioritäten für die ökumenische Arbeit aufzustellen. Mehrere dieser Gruppen arbeiten unmittelbar an der Formulierung von Empfehlungen über das Teilen mit. Dieses weltweite Netzwerk spezialisierter Gruppen gibt dem Referat die Möglichkeit, das Teilen materieller und anderer Ressourcen auf der Grundlage einer globalen und regionalen Evaluierung von Bedürfnissen und Prioritäten zu organisieren. Das regionale Teilen ist verbunden mit einem System des interregionalen und weltweiten Meinungsaustauschs, der sowohl die Koordination als auch das Handeln der Partner erleichtert. Diese Verbindung zwischen Arbeitsgrundsätzen und Finanzierung ist die Grundlage der Entwicklung und Nutzung einschlägiger ökumenischer Erfahrungen.

4. Stipendien. ÖRK-Stipendien werden an Kandidaten/innen vergeben, die in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen arbeiten, und sollen deren Kapazitätenausbau sowie die Weiterbildung ihres Personals fördern. Da Stipendien als Bestandteil des ökumenischen Teilens von Ressourcen betrachtet werden, wird von den Kandidaten/innen auch ein Beitrag zur Festigung der Beziehungen und zur Verständigung zwischen Kirchen und Konfessionen erwartet.

Das Programm verfügt über ein Netzwerk von 160 nationalen Korrespondenten/innen, die mit den für die Auswahl verantwortlichen nationalen Stipendienauschüssen zusammenarbeiten. Sie sorgen dafür, dass die ausgefüllten Antragsformulare dem ÖRK zugeschickt werden, und sie sind den Stipendiaten bei den Reisevorbereitungen behilflich.

5. ACT (Kirchen helfen gemeinsam). ACT International ist ein weltweites ökumenisches Netzwerk, das 1995 eingerichtet wurde, um in Notsituationen ein besseres Teilen von Ressourcen und Fähigkeiten und eine bessere Koordination der Nothilfe zu gewährleisten. 1996 vermittelte das ACT-Netzwerk Nothilfe im Wert von 32 Mio. US-$. Davon gingen 20 Mio. nach Afrika, 3,9 Mio. in den asiatisch-pazifischen Raum, 5,6 Mio. nach Europa, 1 Mio. nach Lateinamerika und in die Karibik und 1,2 Mio. in den Nahen und Mittleren Osten.

6. ECLOF (Ökumenischer Darlehensfonds). ECLOF will Menschenwürde und Eigenständigkeit dadurch fördern, dass er niedrig verzinste ökumenische Kredite, die in einheimischer Währung zurückzuzahlen sind, an Kirchen und an Gemeinschaften marginalisierter und ausgegrenzter Menschen vergibt. ECLOF hat sich in den letzten sieben Jahren erheblich weiterentwickelt und die Effizienz der nationalen Komitees verbessert.

Solidarität, Förderung der Selbstbestimmung, Fürsprache
Praktische Aktionen. Solidarität gibt es nur zwischen Menschen. In gewisser Hinsicht gibt es eine Solidarität mit den Überzeugungen, Wertvorstellungen und Zielen anderer Menschen, doch solange sie keinen praktischen Ausdruck findet, ist sie nicht sehr hilfreich. Einheit IV hat sich insgesamt immer mehr zu einem Befähiger entwickelt, der laut Mandat "auf lokaler wie regionaler Ebene praktische Solidarität fördert, die unser Engagement für ein gerechteres Miteinanderteilen angesichts zunehmender Armut, Vertreibung und Ausgrenzung widerspiegelt".

Unter dem "praktischen Handeln" der Einheit verstand man in der Regel die Beschaffung und Weiterleitung von Geldern durch die verschiedenen Systeme des Miteinanderteilens. Dem Stab der Einheit und ihren Partnern wurde jedoch zunehmend bewusst, dass die Förderung konkreter und effizienter Aktionen der Kirchen in aller Welt letztlich das Ergebnis aller miteinander verbundenen Aktivitäten der Einheit ist, namentlich Miteinanderteilen, Ausbau der Kapazitäten, Sammeln und Analyse von Informationen, Netzwerkarbeit und Fürsprache.

Ausbau der Kapazitäten und Förderung der Selbstbestimmung. Der Ausbau der Kapazitäten durch Ausbildung, Informationsaustausch sowie internationale Analysen und Austausch ist für den ÖRK schon immer eine Priorität gewesen. Er wurde durch Programme wie die ökumenischen Stipendien, die für viele Menschen der Einstieg in das ökumenische Leben sind, gefördert. 1994 sind z.B. 275 Stipendien vergeben worden, 66% an Männer und 34% an Frauen. Es wird angestrebt, künftig mehr Stipendien an Frauen zu vergeben.

Die Regionalgruppen und die Runden Tische ermitteln oft, welche Art von Bildungsarbeit Kirchen und Gemeinschaften benötigen. Ein gutes Beispiel ist der Workshop in Freetown (Sierra Leone), der im April 1997 auf Ersuchen der afrikanischen Regionalgruppe durchgeführt wurde, um eine Strategie für den Ausbau der Kapazitäten von Frauen in ihren jeweiligen Ländern und in der Subregion zu entwickeln. Fünf Länder waren vertreten. Diese Tagung, die gemeinsam vom Afrikareferat und dem Stipendienbüro veranstaltet wurde, macht deutlich, dass sich im Bereich des Ausbaus von Kapazitäten der Akzent von individuellen Projekten und Stipendien auf eine ausgeprägter strategische und systematische Planung und Programmarbeit verlagert.

Initiativen zum Ausbau der Kapazitäten für Notsituationen spielten in den vergangenen Jahren eine grosse Rolle bei der Arbeit der Regionalreferate. Mit der Zunahme und der Internationalisierung der Nothilfe ist es für den ÖRK immer wichtiger geworden, Gemeinden und einheimischer Bevölkerung dabei zu helfen, ihre spezifische Rolle zu spielen. Bei der Nothilfe sind Beratung, Versöhnung und Wiederaufbau von ganz entscheidender Bedeutung, und daher ist die aktive Mitwirkung der Ortsgemeinden unverzichtbar.

Verbunden mit dem Ausbau der Kapazitäten ist der wachsende Bedarf an ökumenischer Ausbildung. Mehr und mehr regionale und globale Workshops mit kirchlichen Verantwortlichen, ökumenischen Führungspersönlichkeiten und Mitarbeitern/innen internationaler ökumenischer Hilfswerke werden durchgeführt. Für Hilfswerke wurde ein Lehrplan für Kurse aufgestellt, in denen neue Mitarbeiter/innen oder solche, die die ökumenische Bewegung und ihre Zielsetzung nicht kennen, damit vertraut gemacht werden. In den Regionen liegt der Akzent auf der künftigen Funktionsfähigkeit der Bewegung durch Eigenständigkeit und Erneuerung der Führungskräfte.

Die Einheit bemühte sich ferner, Richtlinien für die Gleichstellung der Geschlechter zu entwickeln und ihre Umsetzung zu fördern, denn dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Verwirklichung der Vision einer Gemeinschaft, deren Grundlage die Menschenwürde und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist.

Netzwerkarbeit und Fürsprache. Vernetzung und Fürsprache verbinden das Lokale mit dem Globalen. Netzwerkarbeit macht es möglich, dass Gemeinschaften, die keinen Kontakt, aber das gleiche Problem haben, einander kennenlernen können. Fürsprache stellt die Verbindung zwischen spezifischen Problemen - und ihren unterschiedlichen lokalen Ausdrucksformen - und den dafür zuständigen internationalen Hilfswerken und Entscheidungsgremien her. Randgruppen sind per definitionem ausgeschlossen von den Entscheidungen, die ihr Leben betreffen. Die Globalisierung der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen hat es fast unmöglich gemacht, festzustellen, wer letztlich verantwortlich ist für die vielen politischen Massnahmen, die das Leben der Menschen auf der Ortsebene nachhaltig beeinflussen. Wenn die Stimme der Kirche gehört werden soll, dann muss sie sich in die Politik auf staatlicher und internationaler Ebene einmischen.

Wirksame Fürsprache muss lokal, national und international sein. Bei der lokalen Fürsprache geht es darum, Gruppen und Gemeinschaften darin zu bestärken, für sich selbst zu sprechen und auf die Kommunalpolitik einzuwirken, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Auf der nationalen Ebene geht es darum, die Fürsprache von Kirchen und ökumenischen Organisationen zu unterstützen und gegebenenfalls die Kirchenleitungen aufzufordern, sich an landesweiten politischen Debatten zu beteiligen. Auf der internationalen Ebene schliesslich geht es darum, auf ökumenische Einrichtungen, zwischenstaatliche Organisationen und die Vereinten Nationen einzuwirken. Die Globalisierung hat die Möglichkeiten der Nationalstaaten, in diesem Sinne tätig zu werden, drastisch eingeschränkt, und daher ist es so wichtig, dass der ÖRK hier aktiv wird.

Dieser umfassende Ansatz erfordert sorgfältige Begleitung und Auswertung. Um maximal wirksam werden zu können, muss er gut geplant und koordiniert sein und nach Massgabe der Erfahrungen und Leistungen adaptiert werden. Vor allem aber muss er ethisch vertretbar sein: Durch Fürsprache darf kein Leben aufs Spiel gesetzt werden. Viele Kirchen beispielsweise können aufgrund ihres Minderheitsstatus oder weil ihr Land von einem unterdrückerischen Regime beherrscht wird, von Verfolgung bedroht sein. In anderen Fällen stehen Kirchen den Herrschenden nahe oder werden auf andere Weise vom Staat privilegiert. Beide Situationen können schwierig und gefährlich sein.

Der bewusstseinsbildende Aspekt von Netzwerkarbeit und Anwaltschaft erfordert einen angemessenen und professionellen Umgang mit den Medien. Hier müssen sowohl Zeichen der Hoffnung als auch problematische Themen vermittelt werden. Die vielen positiven Dinge, die in allen Teilen der Welt erreicht wurden und werden - Dinge, die im Leben zahlloser Menschen positive Veränderungen ausgelöst haben - müssen als Beispiele und Vorbilder dessen gezeigt werden, was möglich ist. Solche Initiativen sind Lichter der Hoffnung und des Glaubens.

Die Organisation internationaler Kampagnen ist manchmal die wirksamste Art und Weise, die Öffentlichkeit auf gravierende Probleme aufmerksam zu machen und politische Veränderungen auf internationaler Ebene zu bewirken. Gemeinsam mit Mitgliedskirchen hat der ÖRK in den letzten Jahren mehrere grössere Kampagnen eingeleitet oder daran teilgenommen, bei denen die Menschen im Mittelpunkt standen, an die sich das Erlassjahr wendet: Frauen, Kinder, Entwurzelte, politisch und wirtschaftlich Marginalisierte.

1. Solidarität mit den politisch Marginalisierten: Netzwerkarbeit und Eintreten mit den Kirchen gegen die Atomtests im Pazifik. Die Wiederaufnahme der französischen Atomtests auf Mururoa und Fangataufa 1995 löste weltweit - vor allem aber im Pazifik - Überraschung und Empörung aus. Das Regionalreferat Pazifik und das Informationsreferat der Einheit IV nahmen umgehend Koordinierungsaufgaben wahr: Sie sammelten und verbreiteten Informationen, produzierten Aufklärungs-material (u.a. Postkarten, ein Dokument mit Augenzeugenberichten, ein Poster), nahmen an zahlreichen Treffen in Europa und Demonstrationen in Genf teil und gaben Interviews. Das Europa-Pazifik-Solidaritätsnetzwerk (EPS) spielte hierbei eine wichtige Rolle. Der Bericht der Einheit IV an den Zentralausschuss im September 1995 war der Ausgangspunkt für ein Forschungsprojekt über die Auswirkungen der Atomtests auf die Gesundheit der Bevölkerung von Französisch-Polynesien, und im Oktober 1997 veröffentlichte EPS die Dokumentation Moruroa and Us - Polynesians' Experiences during Thirty Years of Nuclear Testing in the French Pacific. Man hatte z.B. herausgefunden, dass 6% der polynesischen Arbeiter 16 und 10% 17 Jahre oder jünger waren, als sie mit der Arbeit auf dem Testgelände der Franzosen begannen. Als die Studie veröffentlicht wurde, fand sie in aller Welt ein breites Echo, vor allem jedoch in Frankreich und Französisch-Polynesien sowie den anderen Inselstaaten des Pazifik.

2. Solidarität mit den wirtschaftlich Marginalisierten: Netzwerkarbeit und Eintreten für die Streichung der Schulden der ärmsten Länder bis zum Jahr 2000. Der ÖRK, die Kirchen und kirchliche Organisationen haben es lange als vorrangige Aufgabe betrachtet, zur Linderung der Folgen der Auslandsschulden für die ärmsten Länder beizutragen. Doch bereits 1985 gab der Zentralausschuss eine Erklärung zur Frage der Auslandsschulden ab, die sich auf eine von der ÖRK-Beratungsgruppe für Wirtschaftsfragen erstellte Studie über das internationale Finanzsystem stützte, und 1989 war der ÖRK Mitorganisator eines Hearings über Entwicklung und das Schuldenproblem, das in Berlin stattfand. In jüngster Zeit hat der Rat die Schuldenkrise im Kontext des Erlassjahrgedankens analysiert.

Im September 1997 regte der Zentralausschuss einen ökumenischen Aktionsplan an, um im Rahmen der Arbeit des ÖRK an den Themen Globalisierung, soziale Bewegungen und Ausgrenzung auch die Schuldenfrage aufzugreifen. Der Zentralausschuss empfahl dem ÖRK, den Mitgliedskirchen zu helfen, in Zusammenarbeit mit ökumenischen Partnern (1) einen ökumenischen Aktionsplan zur Unterstützung der Streichung der Auslandsschulden der ärmsten Länder bis zum Jahr 2000 aufzustellen, und (2) im Rahmen dieses Aktionsplans eine gemeinsame Erklärung der Kirchen zwecks Annahme durch die Vollversammlung in Harare auszuarbeiten.

Zu diesem Thema haben Kirchen und kirchliche Organisationen geforscht, Lobbyarbeit betrieben und Kampagnen organisiert, um die Öffentlichkeit und die Regierungen darauf aufmerksam zu machen. Eine Konsultation wurde einberufen, um für die Vollversammlung den Entwurf einer Erklärung zu verfassen, einen ökumenischen Aktionsplan aufzustellen und zu überlegen, wie ein internationaler Mechanismus geschaffen werden könnte, der den Teufelskreis der unbezahlbaren Schulden durchbricht. Die Arbeit wird sich auf den Erfahrungsaustausch zwischen Kirchen und Gremien stützen.

3. Solidarität mit Kindern: Netzwerkarbeit und Fürsprache für die Rechte und die Menschenwürde von Kindern. Seit 1990 baut das Regionalreferat für Lateinamerika und die Karibik zusammen mit dem Lateinamerikanischen Rat der Kirchen und dem Nationalrat der Kirchen Christi in den USA ein Netzwerk für marginalisierte Kinder auf. Das Fundament dazu wurde von Gruppen von Kindern und Erwachsenen gelegt, die in Gegenden mit Kindern arbeiten, in denen die Kirchen im allgemeinen nicht präsent sind. Dort sind Kinder häufig Opfer von Gewalt: brasilianische Strassenkinder z.B. fallen den "Strassensäuberungsaktionen" polizeilicher Todesschwadronen zum Opfer; in der Dominikanischen Republik müssen Eltern, die nach Haiti deportiert werden, ihre Kinder allein zurücklassen.

Angeregt von den lateinamerikanischen Erfahrungen und Initiativen von Kindern in anderen Regionen begann Einheit IV mit der Unterstützung der Rechte marginalisierter Kinder. Damit sollten Kinder ermutigt werden, selbst für ihre Rechte einzutreten, und Kirchen bei ihrer Solidarität mit diesen Kindern unterstützt werden. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen steht der Aufbau eines weltweiten ökumenischen Kindernetzwerks.

Im Mai 1996 fand in Genf eine Konsultation statt, an der u.a. neun Kinder von fünf Kontinenten teilnahmen. Diese ausserordentlich mutigen und aufgeweckten Kinder vermittelten sehr anschaulich die spezifischen Probleme der Strassenkinder, z.B. sexuelle Ausbeutung und Kinderarbeit. Der ÖRK ist praktisch das einzige Gremium, das eine effektive Mitwirkung von Kindern bei seiner Fürsprachetätigkeit fördert und Kinder als tonangebend bei der Auseinandersetzung mit ihren Problemen akzeptiert.

Eine zweite Konsultation wurde im Oktober 1997 in Brasilien organisiert. Mehr als 30 Kinder und Jugendliche trafen hier mit Erwachsenen zusammen; insgesamt waren 25 Länder vertreten. Die Teilnehmer/innen billigten einen Aktionsplan, der die nächsten Schritte beim Ausbau des Netzwerks bis hin zur Vollversammlung und danach festlegt.

4. Solidarität mit dem Fremden: Netzwerkarbeit und Fürsprache im Rahmen des Ökumenischen Jahres der Kirchen in Solidarität mit den Entwurzelten (1997). Die weltweit gravierende Lage von Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und Migranten/innen hat den ÖRK zu einer erneuten Grundsatzerklärung zum Thema entwurzelte Menschen veranlasst: "Ein Moment der Entscheidung: Solidarität mit den Entwurzelten" wurde im September 1995 vom Zentralausschuss angenommen. Diese Erklärung war das Ergebnis eines 18-monatigen Konsultations- und Dialogprozesses des Referats für Flüchtlingsarbeit und Migration mit Mitgliedskirchen und kirchlichen Hilfswerken in aller Welt. Viele von ihnen hatten auf der Grundlage von Gesprächen mit ihren Mitgliedern eigene Beiträge unterbreitet.

Zusammen mit der Grundsatzerklärung nahm der Zentralausschuss auch zwei Resolutionen zu ihrer Umsetzung an: Die Kirchen wurden eingeladen, 1997 als das Ökumenische Jahr der Kirchen in Solidarität mit den Entwurzelten zu begehen, und die Gemeinden wurden gebeten, Unterschriften für eine Protestaktion gegen die Herstellung von Antipersonenminen und für die Forderung nach umgehender Räumung der verlegten Minen zu sammeln.

In Genf wurde das Ökumenische Jahr im März 1997 anlässlich der Jahrestagung des weltweiten ökumenischen Netzwerks für entwurzelte Menschen eingeleitet. Das Echo in den Kirchen war sehr gross; viele entschlossen sich, die Kampagne bis 1998 fortzusetzen und bekräftigten damit das weltweite ökumenische Engagement für die vielen Millionen Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Arbeitsmigranten. Die Kirchen beschäftigen sich wieder intensiv mit der Frage, was es bedeutet, Kirche des Fremden zu sein, und prüfen, was getan werden kann, um praktischer Solidarität mit entwurzelten Menschen und kirchlichen Partnern Ausdruck zu geben.

Als Teil der Internationalen Kampagne für ein Verbot der Landminen sammelte der ÖRK Unterschriften für die Kampagne und bemühte sich gemeinsam mit dem Lutherischen Weltbund, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass diese unterschiedslos wirkende Waffe verboten werden muss. Er förderte auch die Teilnahme von Kirchen an der Kampagne.

5. Solidarität mit Frauen: Netzwerkarbeit und Eintreten für Frauenförderung vermittels Gleichstellungsansatz. Einheit IV setzt das langjährige Engagement des ÖRK, das zuletzt auch in der Ökumenischen Dekade "Kirchen in Solidarität mit den Frauen" zum Ausdruck kam, fort, indem sie sich bei der Vergabe von Mitteln für Anwaltschaft, Entwicklung und Kommunikationsarbeit bemüht, auf die Bedürfnisse, Fähigkeiten und das Potential von Frauen aufmerksam zu machen.

Wie bereits erwähnt, ist das Stipendienprogramm bestrebt, mehr Stipendien an Frauen zu vergeben. Ferner können dadurch, dass mehr kurzfristige Stipendien vergeben und der Süd-Süd-Austausch stärker gefördert wird, auch Frauen, bei denen traditionelle Haushaltspflichten längere Abwesenheiten verhindern, eher eine Weiterbildung ins Auge fassen.

Was die internationale Ebene anbetrifft, so war RMS Gründungsmitglied der internationalen Arbeitsgruppe nichtstaatlicher Organisationen, die 1989 Mitveranstalterin der ersten Konsultation weiblicher Flüchtlinge war. Die Lobbyarbeit dieser Konsultation führte 1991 im UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zur Schaffung eines Sonderreferats, das sich mit den Problemen weiblicher Flüchtlinge befasst.

Die Kommission der Einheit IV erkannte auf ihrer Tagung 1993 an, dass es zwischen dem verbalen und dem praktischen Engagement für die Sache der Frauen noch immer eine Kluft gibt. In den folgenden Jahren überprüften alle Referate ihre Arbeit mit Frauen in Regionalgruppen und bemühten sich, ihrem Engagement in allen ihren Aufgabenbereichen gerecht zu werden.

Angesichts der auch weiterhin bestehenden Kluft zwischen verbalem und praktischem Engagement für Frauen in der Arbeit der Einheit beschloss die Kommission auf ihrer folgenden Tagung 1995 in Alexandria, die Bedürfnisse und Rechte marginalisierter und ausgegrenzter Frauen zu einer der fünf Prioritäten der Einheit zu machen. Die Kommission erkannte an, dass Solidarität mit den "Erlassjahr-Frauen" nicht dazu führen darf, dass alle Verantwortung für Veränderungen auf Frauen abgewälzt wird oder dass ihre Anliegen auf den Sektor "Frauenfragen und Frauenprojekte" abgeschoben werden. Die Kommission empfahl der Einheit, in diesem Bereich mit dem Gleichstellungskonzept zu arbeiten.

Sechs Monate lang erörterten alle Mitarbeiter/innen der Einheit die Frage, wie das Gleichstellungskonzept in ihrer Arbeit umgesetzt werden kann. Eine Arbeitsgruppe für Frauenförderung formulierte für die Entwicklungsarbeit Leitlinien mit dem Titel "Richtlinien für die Gleichstellung: Förderung von Spiritualität im Teilen und Dienen". Ansatzpunkt der Gleichstellungsdebatte ist die Überzeugung, dass Gottes Heilsplan für die Menschheit in der erlösenden Liebe Gottes bei der Erneuerung der ganzen Schöpfung zum Ausdruck kommt, an der Frauen ebenso uneingeschränkt teilhaben wie Männer.

Die Richtlinien sind formuliert worden, um den Referaten der Einheit zu helfen, in der alltäglichen Arbeit und in den Beziehungen zu regionalen und lokalen Partnern Fragen der Geschlechtsrollenverteilung anzusprechen. Die Richtlinien werden auch bei der Erörterung von Grundsatzfragen sowie bei der Planung, Begleitung und Projektauswertung berücksichtigt.

WAS HABEN WIR GELERNT
UND WOHIN WOLLEN WIR GEHEN?

Zwischen Ende 1996 und Mitte 1997 unternahm Einheit IV eine ausführliche Evaluierung, in deren Rahmen auch versucht wurde, die Arbeit der Einheit insgesamt und die Arbeit einer jeden Arbeitsgruppe einzeln auszuwerten, um Prioritäten für die Zukunft aufstellen zu können.

Als Kriterien für die Evaluierung dienten die in der Erklärung zur Zielsetzung enthaltenen Wertvorstellungen. Die Evaluierung umfasste

  • interne Reflexion über die Arbeit der vergangenen sechs Jahre;
  • Feedback von einem breiten Spektrum von Partnern (Kirchen, diakonische Einrichtungen, internationale Hilfswerke, Mitglieder der Regionalgruppen, Kommissionsmitglieder, ACT, ECLOF und internationale nichtstaatliche Organisationen);
  • Prüfung und Kritik der internen Strukturen, die den Rahmen für die Tätigkeit der Einheit bilden;
  • Feststellung der Stärken und Schwachstellen der Zusammenarbeit und Rücksprache mit anderen Einheiten.

Ein kleiner Ausschuss von Stabsmitgliedern und Beratern/innen verfasste einen Fragebogen, in dem sich die Partner äussern sollten zum Mandat der Einheit und zu Beziehungsfragen, zu Einschränkungen, nicht erfüllten Erwartungen und Prioritäten für die künftige Arbeit.

Gerechtes Teilen von Ressourcen
Im Berichtszeitraum sind die Netzwerke und Foren für gemeinsames Planen, Teilen und Handeln erheblich erweitert worden. Auf Weltebene hat die Schaffung des Netzwerks der Leiter/innen von Hilfswerken grosse Zustimmung bei den Hilfswerken gefunden. Es steht zu hoffen, dass sich dieses Netz in den kommenden Jahren auch weiterhin zu einer Plattform für Gespräche und Zusammenarbeit zwischen den Hilfswerken und dem ÖRK im Hinblick auf verschiedene gemeinsame Anliegen im Zusammenhang mit Teilen, Solidarität und Gerechtigkeit entwickeln wird.

Was die regionale Ebene anbetrifft, so verlagerte sich der Arbeitsschwerpunkt der Regionalgruppen von der traditionellen Projektauswahl hin zu politischer Analyse und Dialog. Die Gruppen bemühen sich, die Zusammenarbeit zwischen der zunehmenden Anzahl ökumenischer Partner und Netzwerke zu fördern und eine Atmosphäre zu schaffen, in der gegenseitige Kritik und Ermutigung gedeihen können. Die immer wichtigere Rolle dieser Gruppen soll künftig dem gesamten Rat zugutekommen.

Die Runden Tische sind gründlich überprüft worden und werden gegenwärtig systematisch wieder in Gang gebracht. Voraussichtlich werden sie zahlenmässig zunehmen und immer wichtiger werden, sofern der ÖRK die Leistungsfähigkeit dieses Instruments auf Dauer gewährleisten kann. Die Kriterien, anhand derer Qualität und Wirksamkeit gemessen werden, sind in den neuen ökumenischen Richtlinien für die Runden Tische niedergelegt.

Praktische Solidarität
Die Arbeit des ÖRK ist in aller Welt bekannt, weil sie praxisbezogen ist. Die Unterstützung und Begleitung von Gemeinden und Gruppen soll spürbar etwas verändern. Durch die Auswertung konnte diese Arbeit quantifiziert werden, was eine bessere Einschätzung ihres Umfangs und ihrer Wirkung erlaubt.

Der ÖRK spielt in zunehmendem Masse die Rolle eines Befähigers, der die Schaffung von Netzwerken in Gang bringt, durch die verschiedene Akteure auf Orts- und internationaler Ebene ihre Tätigkeit koordinieren und ihre Wirkung erhöhen können. Es geht hier nicht allein um verwaltungstechnische Aufgaben. Der ÖRK vermittelt eine Vision sowie Werte und Methoden der Zusammenarbeit, die gewährleisten, dass praktisches Handeln sich nicht am Geld oder an den Vorstellungen jener orientiert, die das Geld zur Verfügung stellen. Der ÖRK wird noch intensiv darüber nachdenken müssen, wie er am effektivsten befähigend wirken kann. Die Schaffung von funktions- und leistungsfähigen Netzwerken wie ACT und ECLOF sowie von zweckdienlichen Foren für Entscheidungsfindung und Teilen wie z.B. den Regionalgruppen und den Runden Tischen ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Ökumenisches Lernen und Ausbau der Kapazitäten
Dieses Element der ÖRK-Arbeit gewinnt für die Mitgliedschaft immer mehr an Bedeutung und wird künftig einer der wichtigsten Schwerpunkte sein. Die befragten Partner hielten diesen Aspekt der Arbeit ausnahmslos für motivierend und nützlich. Ein Partner erklärte: "Dank des Beitrags und der Unterstützung seitens der ÖRK-Einheit IV haben zahlreiche Christenräte eine Auswertung vorgenommen und darauf aufbauend eine Wendepunkt-Strategie' entwickelt, die das Image und die Leistungsfähigkeit der westafrikanischen Räte verbessert hat".

Alle Regionalreferate waren in der Ausbildung aktiv, und zwar in den meisten Fällen im Rahmen von Workshops und ähnlichen Tagungen. Zielgruppen der Ausbildung - insbesondere im Bereich Projektplanung und Managementausbildung - sind regionale ökumenische Organisationen, nationale Kirchenräte, Rundtisch-partner, kirchliche NGOs und lokale Hilfswerke. Aus einer Reihe von Workshops über Volksbildung ging in Lateinamerika ein regionales Netzwerk hervor, das heute mehr als 50 Gruppen und Kirchen, die mit dem Regionalreferat zusammenarbeiten, ein Forum für die Reflexion bietet.

Die Vorbereitung auf Notfälle ist ein weiterer wichtiger Bereich für Initiativen zum Ausbau der Kapazitäten. Die Regionalreferate für den Pazifik, Asien, Lateinamerika, die Karibik und Europa haben - häufig gemeinsam mit ACT - Workshops zu diesem Thema unterstützt.

Um die Entstehung von Abhängigkeiten zu vermeiden, haben viele Regionen begonnen, die Kreditvergabe als Finanzierungsmöglichkeit zu fördern. Für manche Regionen wie etwa Afrika, wo Zuwendungen üblich waren, ist dies eine einschneidende Änderung. ECLOF ist seit Jahren in einigen Regionen das geeignetste Instrument, um diesen Ansatz zu fördern.

Ökumenisches Lernen ist in den vergangenen sieben Jahren immer notwendiger geworden. In vielen Fällen mangelt es zunehmend an "Ökumenebewusstsein". Das liegt am Generationenwechsel in Führungspositionen, an der fortschreitenden Säkularisierung der Aufgaben in ökumenischen Gremien und schliesslich daran, dass die Ortsebene eher in konfessionellen als in ökumenischen Kategorien denkt.

Netzwerkarbeit und Fürsprache
Die durch die Arbeit von Einheit IV unterstützten Netzwerke sind unterschiedlicher Art. Bei einigen handelt es sich um ständige Netzwerke, deren Tätigkeit sich unmittelbar auf das Mandat und die Arbeit von ÖRK-Teams bezieht. Ein Beispiel hierfür ist das weltweite ökumenische Netzwerk für entwurzelte Menschen, das vom ÖRK gemeinsam mit seinen Mitgliedskirchen und ökumenischen Partnerorganisationen ins Leben gerufen wurde und dessen Verwaltungsarbeit vom Genfer Sekretariat erledigt wird. Das gleiche gilt für das globale ökumenische Kindernetzwerk.

Das erst kürzlich geschaffene globale Netzwerk "Kinder helfen Kindern" soll kein ständiges Netzwerk des ÖRK werden. Es läuft mit moderaten kurzfristigen Zielsetzungen an. Die Unterstützung und Dienstleistungen seitens des ÖRK werden schrittweise abgebaut, bis das Netzwerk autonom ist.

Die unmittelbar auf das Teilen von Ressourcen bezogenen Netzwerke - Regionalgruppen, Runde Tische, ACT und ECLOF - sind auf längere Dauer angelegt und erlauben dem Genfer Stab, seine Aufgaben effizient und kooperativ zu erfüllen. Sie sind eine Mischform aus repräsentativem Gremium (Ausschuss oder Beratungsgruppe), das von ÖRK-Leitungsinstanzen (und anderen) gewählt wurde, und Netzwerk von Akteuren, die freiwillig zusammenarbeiten.

Der Begriff "Netzwerk" mag hier nicht immer genau der Definition entsprechen, aber er vermittelt sehr gut den dynamischen Charakter dieser Arbeit. Strukturen sind nicht starr, sondern passen sich dem jeweiligen Kontext und Bedarf an. Diese Flexibilität ist vollkommen vereinbar mit dem künftigen Aufbau und Arbeitsstil des Rates.

Die Schlüssel zum Erfolg all dieser Netzwerke sind Beziehungen und Kommunikation. Ohne Vertrauen und gegenseitige Rechenschaftspflicht gibt es keine Beziehungen, und ohne offenen und regelmässigen Austausch von Informationen und Gedanken ist kaum etwas zu erreichen. Die ökumenischen Richtlinien zum Teilen von Ressourcen in ihrer gegenwärtigen Fassung sind in mancher Hinsicht etwas überholt, und daher wäre es an der Zeit, geeignetere ethische Richtlinien auszuarbeiten.



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