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1. Dezember 1998

DEKADE-FESTIVAL SCHREIBT BRIEF AN ACHTE ÖRK-VOLLVERSAMMLUNG: "INKLUSIVE CHRISTLICHE GEMEINSCHAFT IST AUFTRAG DES EVANGELIUMS"
Ökumenisches Dekade-Festival - Pressemitteilung Nr. 6


Am Abschlusstag des Festivals zum Abschluss der Dekade "Kirchen in Solidarität mit den Frauen" in der simbabwischen Hauptstadt Harare verabschiedeten die Delegierten einen Brief an die Vollversammlung des ÖRK. Das dreiteilige Dokument, das die Notwendigkeit der Weiterarbeit an den Themen der Dekade über das Jahr 1998 hinaus betont, wird der Vollversammlung am 7. Dezember vorgelegt werden. Es fordert die Kirchen auf, Gewalt gegen Frauen zur Sünde zu erklären, "Frauen den ihnen zustehenden Platz in Gottes Schöpfung zurückzugeben" und klagt wirtschaftliche Ungerechtigkeit und Rassismus an. Es enthält neben einem kritischen Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre die Formulierung von "Visionen" und "Versprechen" und im dritten Teil eine "Erklärung" mit Forderungen an Vertreterinnen und Vertreter der Kirchenleitungen, der Frauen, Männer und Jugendlichen bei der Vollversammlung.

Während der Teambesuche der Dekade in den Kirchen, "lebendige Briefe" genannt, habe sich leider herausgestellt, dass nicht alle Kirchen dem Prozess in gleicher Weise verpflichtet waren. Deshalb sei ein neuer Brief notwendig, um die Kirchen einzuladen, die wirkliche christliche Gemeinschaft zu schaffen, "wie Christus sie gewollt hat." Dies sei "keine Option, sondern ein Auftrag des Evangeliums", heisst es einleitend.

"Unsere Vision und unser Versprechen" ist der zweite Teil überschrieben, der sich mit der Gemeinschaft in den Kirchen, der Frage der Gewalt und wirtschaftlicher Gerechtigkeit befasst.

Man halte fest an "der Vision einer neuen menschlichen Gemeinschaft, in der volle Teilhabe aller ihrer Mitglieder verwirklicht ist", betont das Dokument. Von den Kirchen der Vollversammlung wird gefordert, "die finanziellen, geistigen und personellen Ressourcen des ÖRK für die Entwicklung von frauenfördernden Programmen einzusetzen". Die Kirchenstrukturen sollten kritisch überprüft werden, damit der "ausschliessende Geist in all seinen gottlosen Formen überwunden wird".

Zur Gewalt heisst es in dem Brief, dass "Gewalt in der Kirche eine Häresie ist, eine Beleidigung Gottes, eine Beleidigung der Menschheit und eine Beleidigung der Erde". Die Kirchen werden aufgefordert, "Gewalt gegen Frauen zur Sünde zu erklären". An den ÖRK ging die Empfehlung, "einen Prozess der Busse" zu für Umkehrung und Erneuerung der Kirche zu beginnen, und darin auch deren Leitungsstrukturen, Theologien, Traditionen und Praxis einzubeziehen. Darüber sollte bei der nächsten Vollversammlung Rechenschaft gegeben werden.

Armut "in all ihren hässlichen, beleidigenden und dämonischen Formen" könne "weder toleriert noch gerechtfertigt" werden, heisst es im Abschnitt über wirtschaftliche Gerechtigkeit. Die Kirchen werden aufgefordert, "Armut und alle ihre entwürdigenden Formen zu einem Skandal vor Gott zu erklären" und sich die Ziele der UN-Dekade zur Abschaffung der Armut (1997-2007) zu eigen zu machen.

Die "Erklärung", letzter Teil des Dokuments, unterstreicht die Notwendigkeit der vollen Mitwirkung von Frauen in allen kirchlichen Bereichen und die Überwindung aller Formen von Gewalt in der Kirche und spricht Kirchenführer, Frauen, Männer und Jugendliche der Vollversammlung konkret an. So werden kirchenleitende Persönlichkeiten aufgefordert, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um "Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in den Kirchen zu korrigieren". Die Frauen der Vollversammlung wurden eingeladen, sich der "Vision und Verpflichtung" des Briefes anzuschliessen.

Die am Abschlusstag diskutierte Fassung war gegenüber dem vorab versandten Entwurf in Stil, Sprachduktus und Länge abgeändert worden. Zahlreiche Delegationen hatten den ersten Entwurf als "zu trocken" und zu wenig dem Geist des Festivals entsprechend abgelehnt, woraufhin eine Arbeitsgruppe während der Veranstaltung den neuen Test erarbeitete.

Auch dieser wurde während eines vierstündigen, sehr engagierten Diskussionsprozesses in Arbeitsgruppen und im Plenum ergänzt, an einigen Stellen verschärft und an anderen sprachlich abgemildert.

Zu besonders intensiven Diskussionen kam es über das Thema Sexualität. Dass der vorgeschlagene Text die Worte homosexuell, schwul oder lesbisch vermied, sondern von "menschlicher Sexualität in all ihrer Vielfalt" sprach, wurde von einigen Teilnehmerinnen als zu wenig deutlich kritisiert, andere wollten den gesamten Abschnitt streichen. Eine orthodoxe Delegierte aus den USA erklärte, ihre Kirche habe zur Sexualität eine so klare Position, dass es den Frauen unmöglich sei, das Thema überhaupt zur Diskussion zu stellen. Demgegenüber hob eine lesbische Pastorin aus den Niederlanden hervor, dass sie in ihrer Kirche offen über ihre Einstellung sprechen könne.

In der schliesslich verabschiedeten Fassung erkennt der Text die unterschiedlichen Auffassungen über die menschliche Sexualität an; "Wir sind uns bewusst, dass es eine Reihe von ethischen und theologischen Fragen gibt - wie Abtreibung, Scheidung, menschliche Sexualität in all ihrer Vielfalt - die die volle Beteiligung von Frauen beeinträchtigen, und über die sich in der kirchlichen Gemeinschaft nur schwer reden lässt. Während der Dekade haben wir festgestellt, dass Fragen der menschlichen Sexualität in all ihrer Vielfalt besondere Bedeutung erlangt haben. Wir verurteilen Gewalt, die aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zu diesem Thema ausgeübt wird. Wir sind uns schmerzlich bewusst, dass uns das Ringen um diese Fragen möglicherweise spalten kann. Wir wissen, dass es unter Frauen und Männern darüber geteilte Meinungen gibt und dass sie für einige überhaupt keine Thema ist. Wir bitten um die Weisheit und die Leitung des Heiligen Geistes, damit wir das Gespräch darüber fortsetzen können und damit allen Gerechtigkeit widerfährt."

Nach seiner Annahme bezeichnete Dr. Kathleen Hurty, Vorsitzende der Vereinigung kirchlicher Frauen in den USA (Church Women United) den Brief als "kraftvolles und sorgfältig formuliertes Dokument". Es sei "nicht perfekt, aber wir haben unser bestes getan". "Ich glaube, dass das Dokument bedeutende Anregungen zum Handeln und wertvolle theologische Denkanstösse enthält und eine gute Ausgangsbasis dort ist, wo wir nicht übereinstimmen."

Weitere Informationen erhalten Sie von John Newbury,
ÖRK-Presse- und Informationsreferent
Presse- und Informationsbüro, Harare
Tel.: +263.91.23.23.81
E-Mail: WCC media


Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von inzwischen 332 Kirchen in über 100 Ländern auf allen Kontinenten und aus praktisch allen christlichen Traditionen. Die römisch-katholische Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ÖRK zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die ungefähr alle sieben Jahre zusammentritt. Der ÖRK wurde 1948 in Amsterdam (Niederlande) offiziell gegründet. An der Spitze der Mitarbeiterschaft steht Generalsekretär Konrad Raiser von der Evangelischen Kirche in Deutschland.